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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0442
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422 Jenseits von Gut und Böse

oder das Unrechte, das Wahre oder das Falsche wollen und eifrig dafür arbei-
ten.“ (Goethe 1853-1858, 39, 295; Seite von N. mit Eselsohr markiert; auf der
folgenden Seite 296 findet sich die in UB II HL 8 zitierte Stelle.) Wirklichkeits-
verweigerung ist nach Goethe also die mögliche und bei Newton greifbare Pa-
thologie des „starken Charakters“ - während er implizit für sich selbst in An-
spruch genommen haben dürfte, nicht nur ein „starker“, sondern ein „großer
Charakter“ zu sein: ,,[e]inen großen Charakter nennt man, wenn die Stärke
desselben zugleich mit großen, unübersehlichen, unendlichen Eigenschaften,
Fähigkeiten, verbunden ist und durch ihn ganz originelle unerwartete Absich-
ten, Plane [sic] und Thaten zum Vorschein kommen“ (ebd., 293). N. wiederum
war sehr wohl klar, dass Goethe gegenüber Newton wissenschaftlich Unrecht
hatte (vgl. Venturelli 2003, 52), dass sich also der in der Wissenschaft dilettie-
rende Dichter in Wahrheit als der starre, „starke Charakter“ erwies, der sich
gegenüber dem „besten Gegengrund“ taub stellte. JGB 107 nimmt Goethes Cha-
rakterisierung des „starken Charakters“ und ebenso dessen Kritik an Newton
in verallgemeinerter Form auf, deutet die zumindest partielle Wirklichkeitsver-
weigerung jedoch nicht, wie Goethe, als Pathologie, sondern als die eigentliche
Stärke des „starken Charakters“. Zur Interpretation von JGB 107 siehe auch
Müller-Lauter 1999b, 404 f.

108.
92, 14 f. Es giebt gar keine moralischen Phänomene, sondern nur eine morali-
sche Ausdeutung von Phänomenen ....] NL 1882, KSA 10, 3[1]374, 98, 24-26 ver-
deutlicht mit einem eingeklammertem Ausruf: „Es giebt gar keine moralischen
Phänomene; sondern nur eine moralische Interpretation gewisser Phänomene
(— eine irrthümliche Interpretation!)“. Der Entwurf zu einem neuen Vorwort
für die Morgenröthe erweiterte diesen Gedanken zu dem „Hauptsatz: es
giebt keine moralischen Phänomene, sondern nur eine mo-
ralische) Interpretation dieser Phänomene. Diese Interpre-
tation selbst ist außermoralischen Ursprungs.“ (NL 1885/86, KSA
12, 2[165], 149, 25-29, entspricht KGWIX 5, WI 8, 66, 42-44.) In GD Die „Verbes-
serer“ der Menschheit 1, KSA 6, 98, 6-8 sollte das sprechende Ich schließlich
für sich in Anspruch nehmen, „zum ersten Male formulirt“ zu haben: „dass
es gar keine moralischen Thatsachen giebt“ (Stegmaier 2008, 560,
Fn. 37 unterstreicht, dass sich trotz dieses Exklusivitätsanspruchs derselbe Ge-
danke schon in Spinoza: Ethica ordine geometrico demonstrata IV, Praefatio
findet; Abel 1998, 152, Fn. 58 verweist überdies auf die Aufzeichnung NL 1885/
86, KSA 12, 2[131], 131 f. (entspricht KGW IX 5, W I 8, 88), die zeigt, dass N. sich
 
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