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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0463
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Stellenkommentar JGB 132, KSA 5, S. 95-96 443

131.
96, 4-9 Die Geschlechter täuschen sich über einander: das macht, sie ehren
und lieben im Grunde nur sich selbst (oder ihr eigenes Ideal, um es gefälliger
auszudrücken —). So will der Mann das Weib friedlich, — aber gerade das Weib
ist wesentlich unfriedlich, gleich der Katze, so gut es sich auch auf den An-
schein des Friedens eingeübt hat.] Zu diesem Abschnitt lassen sich keine direk-
ten Vorarbeiten im Nachlass finden. Weiter ausgebreitet werden die hier ange-
deuteten Überlegungen insbesondere in JGB 239, wo das „Weib“ gleichfalls als
„gefährliche und schöne Katze“ apostrophiert wird (KSA 5, 178, 12, vgl. auch
den raubtierhaften ,,Katzen-Muthwillen[.]“ des - freilich männlichen - Freiers
der Wahrheit in Za IV Das Lied der Schwermuth 3, KSA 4, 372, 21).
Die Beobachtung, dass die Geschlechter nur sich selber „ehren und lieben“
(96, 5), spielt auf die gängige kirchliche Eheschließungsformel an, wonach
„das Weib [...] den Mann als das ihr von Gott gesetzte Haupt, als ihren Herrn
erkennen und halten, ehren und lieben“ solle (Boeckh 1870, 2,127. Vgl. Evange-
lisches Kirchenbuch 1863, 2, 67: „Das Weib aber soll den Mann ehren und lie-
ben“). Auch in Adalbert Stifters Nachsommer, den N. zum „Schatz der
deutschen Prosa“ (MA II WS 109, KSA 2, 599, 23) zählte, wird die Formel
benutzt: „,0 mein theures Weib,4 entgegnete ich, ,ich werde dich ohne Ende
ehren und lieben, wie ich dich heute ehre und liebe/“ (Stifter 1865, 3, 411).
Die Identifikation von Weib und Katze ist bei N. ein Motiv, das in der Zeit
des intensiven Umgangs mit Lou von Salome aufkam (vgl. Za I, Vom Freunde,
KSA 4, 73, 7 f. oder NL 1882, KSA 10, 3[1] 133, 69,11: ,„Alle Frauen sind entweder
Vögel oder Katzen oder Kühe“4. Vgl. NK KSA 3, 337, 12-14). Direkt als Vorwurf
adressiert wird das Katzenverdikt in einem Briefentwurf an Lou von Salome
vor Mitte Dezember 1882, KSB 6/KGB III/l, Nr. 351, S. 298, Z. 27 f.: „Charakter
der Katze — das Raubthier, das sich als Hausthier stellt“ (vgl. zum Motiv
ausführlich Braun 2007, 173-177; Thomas Mann greift es im Zauberberg auf,
siehe Joseph 1996, 40). Abgesehen vom reichen mythologischen Erfahrungs-
schatz zur Katzenhaftigkeit der Frau (vgl. z. B. Kofman 1985, 34) heißt es expli-
zit in einer berühmten Zeile aus Theophile Gautiers Pierrot Posthume (1847):
„La femme est une chatte et sa griffe nous tient“ (Gautier 1863, 149. „Die Frau
ist eine Katze, und ihre Kralle hält uns“).

132.
96,11 Man wird am besten für seine Tugenden bestraft.] Statt „am besten“ wird
man nach NL 1882, KSA 10, 3[1]25, 56, 23 lediglich „auch für seine Tugenden
bestraft“. So kehrt der Satz wortwörtlich wieder in NL 1882/83, KSA 10, 4[31],
 
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