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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0468
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448 Jenseits von Gut und Böse

nur, um daraus schließlich eine Kritik am herkömmlichen Begriff des Gut-Seins
abzuleiten: Gut-Sein wird demnach verstanden als Für-gut-Halten des Herge-
brachten, des von anderen Gemachten. Von dieser Kritik sind Christen und
Moralphilosophen gleichermaßen mitbetroffen.
136.
97, 2 f. Der Eine sucht einen Geburtshelfer für seine Gedanken, der Andre Einen,
dem er helfen kann: so entsteht ein gutes Gespräch.] In den Tautenburger Auf-
zeichnungen für Lou von Salome heißt es: „Um sich gut zu unterhalten, sucht
der Eine einen Geburtshelfer für seine Gedanken, und der Andere einen, dem
er helfen kann.“ (NL 1882, KSA 10, 1[57], 26, 1-3) Brachial wird es in NL 1882,
KSA 10, 3[1]48, 59, 3-6: „Der Eine sucht einen Geburtshelfer für seine Gedan-
ken, der Andre einen, dem er helfen kann: so entsteht ein gutes Gespräch.
Wehe aber, wenn zwei Geburtshelfer zusammen stoßen! Sie haben nicht um-
sonst ihre Zangen!“
Die Vorstellung, dass das philosophische Gespräch als eine Geburtshelfer-
kunst, als Maieutik (paiEUTiKp texvt]) zu verstehen sei, nämlich in dem Sinne,
den Seelen bei der Geburt ihrer Einsichten behilflich zu sein, erläutert Sokrates
unter Hinweis auf den Hebammenberuf seiner Mutter (Platon: Theaitetos 149a-
151d, vgl. z. B. Ueberweg 1867, 1, 98). Kant adaptierte in der Metaphysik der
Sitten das sokratische Verfahren, um die „dialogische Lehrart“ zu konkretisie-
ren: „Der Lehrer leitet durch Fragen den Gedankengang seines Lehrjüngers
dadurch, daß er die Anlage zu gewissen Begriffen in demselben durch vorge-
legte Fälle blos entwickelt“ (AA VI, 478). Dabei benutzt Kant eine zu JGB 136
parallele Formulierung: „er ist die Hebamme seiner Gedanken“ (AA VI, 478).
In einer nachgelassenenen Abhandlung Ueber das Verhältniß der Rede des Alci-
biades zu den übrigen Reden des platonischen Symposions von 1864 wandte
N. die maieutische Metaphorik auf die Rolle des Phaidros im Symposion an:
„Phaedrus [...] ist wie auch sonst, nur der »Geburtshelfer4 der folgenden Re-
den.“ (KGW I 3, 385, 21 f.). Unter Berufung auf JGB 136 argumentiert Scheier
1990, XXIII, dass N.s Denken „auch da noch, wo es am reinsten in sich selbst
vertieft ist, Zwie-Gespräch“ sei.
137.
97, 5-9 Im Verkehre mit Gelehrten und Künstlern verrechnet man sich leicht in
umgekehrter Richtung: man findet hinter einem merkwürdigen Gelehrten nicht
selten einen mittelmässigen Menschen, und hinter einem mittelmässigen Künstler
sogar oft — einen sehr merkwürdigen Menschen.] KSA 14, 356 teilt dazu aus dem
Notizheft N VII 2 folgende Erstfassung mit: „Im Verkehre mit Gelehrten und
 
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