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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0470
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450 Jenseits von Gut und Böse

Obwohl N. insbesondere durch Friedrich Albert Langes Geschichte des Ma-
terialismus seit seiner Studentenzeit mit dem Gedanken vertraut war, dass
Wirklichkeitserkenntnis wesentlich Erfinden und Erdichten bedeute, betonte
die von ihm zur Entstehungszeit von NL 1880, KSA 10, 3[1]24 gelesene Literatur
tendenziell den Unterschied von Wach- und Traumbewusstsein, den JGB 138
einebnet: „Zwar, wir träumen. Allein hiebei verhält sich die Intelligenz
nicht sowohl activ als passiv; sie gibt sich willenlos dem zum Theil sehr unlogi-
schen Spiel vorüberziehender Phantasiegebilde hin.“ (Liebmann 1880, 518. N.
bestellte ein Exemplar dieses Liebmann-Werkes allerdings erst im Brief an
Overbeck vom 20./21. 08.1881, KSB 6/KGB III/l, Nr. 139, S. 116, Z. 62.) M 119
gibt zwar zu bedenken, dass ,,[d]as wache Leben [...] nicht diese Freiheit
der Interpretation wie das träumende“ (KSA 3, 113, 17 f.) böte; dennoch aber
täten „unsere Triebe im Wachen ebenfalls nichts Anderes [...], als die Nerven-
reize interpretiren und nach ihrem Bedürfnisse deren »Ursachen4 ansetzen“, so
„dass es zwischen Wachen und Träumen keinen wesentlichen Unterschied
giebt“ (KSA 3, 113, 19-23, vgl. NK KSA 3, 111, 17). Die sogenannten Nervenreiz-
träume waren in der zeitgenössischen Diskussion Gegenstand eifriger Debatten
(vgl. Strümpell 1874, 97-120, ferner Spitta 1883, 233-236; zu Strümpell siehe
auch Treiber 1994, 13 f.). Bei debattenprägenden Psychologen wie Ludwig von
Strümpell geriet die romantisch inspirierte, von Gustav Theodor Fechner ver-
tretene These in Misskredit, wonach ,,[d]er Traum die Naturthätigkeit der Seele
[sei], welche [...] die in freiem Spiele sich ergehende Lebendigkeit der sensibeln
Centralpunkte ist“ (Fechner zitiert bei Strümpell 1874, 20). Die analogisierte
Funktionsweise und Erfindungskraft von Traum- und Wachzustand in JGB 138
und M 119 opponiert gegen die damals dominierende Abwertung des Traumes.
Näher kommen der Darstellung bei N. Überlegungen von Heinrich Spitta, im-
merhin auch ein - allerdings fünf Jahre jüngerer - Alumnus Portensis (Spitta
1883, 235 f. schildert einen eigenen Traum aus seiner Gymnasialzeit in Schul-
pforta). Dieser plädiert für einen strengen „Causalzusammenhang“ von Schla-
fen und Wachen - sie „können nur in und aus dieser ihrer Verbindung und
Gegenseitigkeit erklärt werden - sie sind beide genau denselben Gesetzen un-
terworfen“ (Spitta 1883, 117). Zur Frage nach dem Verhältnis von Traum und
Wirklichkeit bei N. siehe z. B. NK 114, 18-21; NK KSA 1, 26, 21-24 und NK KSA
6, 92, 2-16, zu N.s Quellenbasis im frühen und mittleren Werk besonders Trei-
ber 1994.

139.
97,15 f. In der Rache und in der Liebe ist das Weib barbarischer, als der Mann.]
Im Druckmanuskript wurde folgende Eingangswendung gestrichen: „Rückkehr
 
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