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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0474
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454 Jenseits von Gut und Böse

„das unfruchtbare Thier“.] Zu JGB 144 gibt es keine direkten Vorstufen im Nach-
lass. In JGB 127 wurde behauptet, dass „Wissenschaft“ den „rechten Frauen [...]
wider die Scham“ (KSA 5, 95,11) gehe. JGB 144 scheint nun misogyne Vorurteile
gegenüber der Wissenschaftsfähigkeit von Frauen zu reproduzieren. Allerdings
ist nicht zu verkennen, dass dieser Sentenz eine Identifikation von Gelehrsam-
keit und Unfruchtbarkeit zugrunde liegt, die der von N. wiederholt vorgetrage-
nen Kritik an der Gelehrsamkeit, die sich beispielsweise im Sechsten Haupt-
stück: wir Gelehrten (JGB 204-213) scharf artikuliert, noch eine besondere Note
gibt: Frauen wären schlecht beraten, gelehrt und damit unfruchtbar werden zu
wollen, wenn sie es wie die (meisten) Männer - unfruchtbare Tiere - nicht
ohnehin schon seien. Der Kirchenvater Augustin hatte einst die rhetorische
Frage gestellt: „Si sterilitas malum non est, quomodo malum est animal steri-
le?“ (Augustinus: De moribus ecclesiae catholicae et de moribus Manichaeorum
II 9,15. „Wenn die Unfruchtbarkeit kein Übel ist, auf welche Weise ist dann ein
unfruchtbares Tier ein Übel?“) Auch JGB 144 lässt offen, ob die Unfruchtbarkeit
und das von ihr affizierte Lebewesen ein Übel seien, wenngleich eine bejahen-
de Antwort naheliegt.
JGB 144 hat sich Thomas Mann 1894/95 in einem Notizbuch exzerpiert
(Mann 1991, 34), Gottfried Benn variiert dazu: „Bezeichnend ist Nietzsche; das
meiste, was er über die Frauen sagt, ist unbeholfen, aber die Häupter seiner
eigenen Lieben zählt er mit dem treffenden Satz: der Mann ist das unfruchtbare
Tier.“ (Benn 1988, 84) Zur Interpretation des Abschnitts vgl. auch Smitmans-
Vajda 1999, 102.
145.
98, 15-17 Mann und Weib im Ganzen verglichen, darf man sagen: das Weib
hätte nicht das Genie des Putzes, wenn es nicht den Instinkt der zweiten Rolle
hätte.] Zu JGB 145 fehlen unmittelbare Vorarbeiten. Die Assoziation von Frau
und Putz findet sich bereits in JGB 127, vgl. auch NK 171, 22-24. Der „Instinkt
der zweiten Rolle“ bezieht sich offenkundig darauf, dass zu N.s Zeit die
Frauen den Männern sozial nach- und untergeordnet waren, was sie N.s An-
sicht nach offensichtlich nur durch optische Aufrüstung ausgleichen konnten
(vgl. zur Deutung dieser Wendung auch Reschke 2000, 129). Als „genie de pa-
rure“ hatte das „Genie des Putzes“ übrigens schon in Sophie Gays Souvenirs
d’une vieille femme seinen Auftritt (Gay 1834, 349).

146.
98, 19-21 Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum
Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund
 
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