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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0493
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Stellenkommentar JGB 162, KSA 5, S. 101 473

denen JGB 160 hervorging. Auf den Kern der anders gearteten Dichterkritik
Platons (siehe NK 100, 21 f.) weist in JGB 161 nichts hin, so sehr Schamverlet-
zung von Sokrates gelegentlich auch den Dichtern vorgeworfen wird (vgl. Pla-
ton: Phaidros 243c; „schamlos“ ist das entsprechende Adjektiv in der von N.
benutzten Platon-Übersetzung: Platon 1853, 1/1, 104). Die Keimzelle von JGB
161 in NL 1882, 2[27], 48, 6 hatte sowohl die „Dichter“ als auch die „Erlebnisse“
noch ausgeklammert und allgemein für jede Form der Schriftstellerei dekre-
tiert: „In allem Schreiben ist Schamlosigkeit.“ Die Überlegungen von JGB 160
und 161 fusioniert die in NK 100, 21 f. mitgeteilte Za IV-Vorarbeit NL 1884/85,
KSA 11, 31[6], 360, 13-18. NL 1885/86, KSA 12, 1[3], 10, 5f. (entspricht KGW IX
2, N VII 2,172, 8) wird gegenwartskritisch konkreter: „Die neue Schamlosigkeit
(die der Mittelmäßigen z. B. Engländer, auch der schreibenden Frauen)“. Zum
Motiv der Scham vgl. auch NK 85, 11 f. Auch N. selbst erweckt wiederholt den
Anschein, seine Schriften beruhten auf Erlebnissen (vgl. z. B. EH Warum ich
so gute Bücher schreibe 1, KSA 6, 300, 2-7).
In der Erzählung La Marquise d’Argantini von Henri Riviere, die 1882 in
der Revue des deux mondes erschien - N. hat mit Sicherheit andere Artikel
dieses Jahrgangs gelesen (vgl. NK 99, 14 f.) - ist eine Reflexion eingeflochten,
deren Ähnlichkeit mit NL 1882, 2[27], 48, 6 nicht von der Hand zu weisen ist,
auch wenn es dort nur um autobiographisches Schreiben geht: „Ce recit, disait-
on encore, etait une histoire vraie. Or n’y a-t-il pas de l’impudence ou de l’im-
pudeur ä ecrire ses confessions? Absence de sens moral en tout cas. Comment
peut-on toucher ä ses secretes blessures, pis encore ä ses plaies, sans en don-
ner au public un spectacle qui ne soit repugnant?” (Riviere 1882, 790. „Diese
Erzählung, sagte man noch, war eine wahre Geschichte. Nun gibt es keine Un-
verschämtheit oder Schamlosigkeit, seine Bekenntnisse zu schreiben? Abwe-
senheit von moralischem Sinn auf jeden Fall. Wie kann man an seine geheimen
Verletzungen, an seinen Wunden rühren, ohne davon dem Publikum einem
Anblick zu geben, der nicht widerlich wäre?“). JGB 161 hat sich Thomas Mann
1894/95 in einem Notizbuch exzerpiert und später in Tonio Kröger verwertet
(Mann 1991, 34).

162.
101, 4f. „Unser Nächster ist nicht unser Nachbar, sondern dessen Nachbar“ —
so denkt jedes Volk.] Etwas anders fiel die erste Fassung aus: ,„Unser Nächster
ist nicht unser Nachbar4: so denken alle Politiker und Völker.“ (NL 1882, KSA
10, 3[l]202, 77, 4f.) Fast identisch mit JGB 162 ist dann NL 1883, KSA 10,
12[l]104, 392, 6f.
 
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