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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0505
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Stellenkommentar JGB 175, KSA 5, S. 103 485

Utilitaristen im engeren Sinn des Wortes fassen, d. h. die namentlich von Jere-
my Bentham und John Stuart Mill repräsentierte, N. durch Mill-Lektüre aus
erster Hand bekannte Strömung des Utilitarismus im 19. Jahrhundert. Stattdes-
sen führen sie unter dem Begriff „Utilitarier“ viel breiter materialistische, empi-
ristische und sensualistische Ethiken (von Epikur und Thomas Hobbes an) zu-
sammen. „Utilitarier“ kommen bei N. erst nach der Lecky-Lektüre vor, erstmals
1881 in M 360 (vgl. später auch N.s Anstreichung bei Guyau 1885, 1 = Guyau
1909, 279). Diesen „Utilitariern“ will JGB 174 nun nachweisen, dass sich hinter
ihrem Interesse am (allgemein) Nützlichen bloß das Interesse an dem ihnen
persönlich Angenehmen verbirgt.
175.
103, 6 Man liebt zuletzt seine Begierde, und nicht das Begehrte.] Noch aus-
schließlicher ist die ursprüngliche Fassung in NL 1882, KSA 10, 3[1]1O5, 66, 3f.:
„Man liebt immer nur seine Begierde und nicht das Begehrte.“ Danach stehen
die folgenden, von N. verworfene Notizen: „Nur als Umweg Die Liebe zum Nut-
zen ist immer nur Das runs'1 Nützliche wird immer um seiner selber willen be-
gehrt. geliebt.] Was uns nützlich ist“ (KGW VII 4/1, 69). Der Wortlaut von NL
1882, KSA 10, 3[1]1O5, 66, 3f. wird wiederholt in NL 1883, KSA 10, 22[3], 623, 3.
Die cupiditas ist ein Grundbegriff der Philosophie Spinozas, den N. über
die Vermittlung von Kuno Fischer kennengelernt hat. Fischer übersetzte den
Begriff mit „Begierde“: „Der wirkliche Wille des Menschen ist seine Begierde“
(Fischer 1865, 2, 455). Dabei wird deutlich, dass Spinoza dem Konzept der con-
servatio sui, auf die sich die Begierde ursprünglich richtet, nicht nur die Selbst-
erhaltung, sondern ebenso die für das Konzept des Willens zur Macht bei N.
so wichtige Selbststeigerung einschreibt: „Jede Begierde ist das Streben nach
Selbsterhaltung d. h. nach Erhaltung und Steigerung des eigenen Vermögens.
Das Vermögen aber eines Dinges ist sein Wesen.“ (Fischer 1865, 2, 377) Macht,
potentia, ist dasjenige, wonach alles Lebendige trachte: „Die Grundform aller
Begierden ist das Streben nach Selbsterhaltung: der Wille, unsere Macht zu
erhalten und zu vermehren. Je mehr wir vermögen, um so mächtiger, kraftvol-
ler, tüchtiger ist unser Wesen; um so tüchtiger sind wir selbst. Diese Tüchtig-
keit ist unsere Tugend. Es giebt im Sinne Spinozas keine andere Tugend, als
Tüchtigkeit, als Macht. [...] Ist aber die Tugend die größte Macht, so ist sie
nothwendig Gegenstand der stärksten Begierde, so giebt es nichts, das mehr
begehrt werden könnte, so kann sie nicht als Mittel zu etwas anderem, sondern
muß um ihrer selbst willen begehrt werden, denn es giebt nichts, das begeh-
renswerther wäre als sie; so ist die Selbstvernichtung oder der Selbstmord nie
eine Folge der Tugend, sondern stets eine Folge der Ohnmacht. ,Die Begierde/
 
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