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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0514
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494 Jenseits von Gut und Böse

36[27], 562 = KGW IX 4, W I 4, 28) entwickle, die methodisch viel reflektierter
verfahre, den naiven, auf feste Typen setzenden Genealogen attackiere (GM II
12, KSA 5, 312) und als definierbar nur das anerkenne, was keine Geschichte
hat (GM II13, KSA 5, 317).
Genaueres Hinsehen kann allerdings Zweifel wecken, ob das Fünfte Haupt-
stück tatsächlich brachiale, auf Festschreibung bedachte und unterreflektierte
Moraltypologie betreibe, auch wenn es unter der Überschrift der „Naturge-
schichte“ steht: Bereits der Verzicht auf den bestimmten Artikel im Nominativ
(„Die Naturgeschichte ...“) und dessen Substitution durch eine präpositionale
Formulierung („Zur Naturgeschichte ...“) indiziert im Unterschied zu Lecky,
dass keine vollständige Beschreibung der Moral-Naturgeschichte intendiert ist,
sondern nur einige Elemente zusammengetragen werden. In „Gleichniss- und
Zeichensprache“ (KSA 5,117,14 f.) bringt JGB 196 zum Ausdruck, dass die Erfor-
scher der Moral weitgehend im Dunkeln tappen. Ein starkes Argument gegen
einen in das Fünfte Hauptstück hineingelesenen Anspruch, die Moralgeschich-
te typologisch festzuschreiben, ist die episodische Anlage dieses Kapitels, das
eben keinen narrativen oder argumentativen Gesamtbogen spannt, sondern
Materialien akkumuliert: Die hierbei praktizierte Moralgeschichtsschreibung
ist - wohl mit viel Bedacht - rhapsodisch.
Sicher liegt auch schon eine Provokation darin, nicht einfach von einer
Geschichte der Moral, sondern ihrer „Naturgeschichte“ zu reden: Das impliziert
ihre Naturalisierung und damit die Naturalisierung ihrer Akteure, also der
Menschen: Sie erscheinen als Naturwesen wie andere Tiere auch - freilich als
besonders interessante, weil instinktdeviante Tiere. Mit einem „Naturalismus“
als angeblicher philosophischer Lehre N.s hat diese Naturalisierung freilich
nichts zu tun (vgl. NK 29, 5-16); Naturalisierung dient vielmehr als Mittel der
Moral-Verunsicherung. Der Begriff der Natur taucht, wie schon Strauss 1983,
184 bemerkt hat, im ganzen Hauptstück fast immer mit (ironisierenden?) An-
führungszeichen auf (mit zwei Ausnahmen: JGB 188, KSA 5, 110, 6 u. JGB 200,
KSA 5, 121, 6, an der letzten Stelle im Sinne von ,Wesen4). Und auch bei der
Natur entzieht sich das Fünfte Hauptstück einer Festlegung - was sie genau
ist, wird nicht explizit gesagt.
Die Provokation des Titels beschränkt sich aber nicht darauf, Moral und
Natur zusammenzubringen, sondern wird noch potenziert durch die Geschich-
te: Mit der Naturalisierung geht die Historisierung der Moral einher. Vgl. zum
Fünften Hauptstück Tongeren 1989, 49-61 sowie Brusotti 2014b.
186.
Der Abschnitt scheint eine kritisch-historische Moralwissenschaft zu propagie-
ren, mit der die zukünftigen Philosophen als unbefangene Problematisierer zu
 
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