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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0529
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Stellenkommentar JGB 188, KSA 5, S. 108-110 509

108, 33-109,1 Das Wesentliche, „im Himmel und auf Erden“, wie es scheint, ist,
nochmals gesagt, dass lange und in Einer Richtung gehorcht werde] Jenseits-
orientierte Moralen wie die christliche beschränken den Gehorsam nicht auf
diese Welt, sondern erweitern ihn aufs Jenseitige. „Und JEsus trat zu ihnen,
redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf
Erden.“ (Matthäus 28, 18. Die Bibel: Neues Testament 1818, 41) N. benutzte die
biblische Wendung auch in FW 345, KSA 3, 577, 24 f.
109, 8 f. unter aristotelischen Voraussetzungen] Von der mittelalterlichen Hoch-
scholastik bis weit in die Neuzeit galt Aristoteles (keineswegs nur für Theolo-
gen) als der allein maßgebliche Philosoph; von ihm abzuweichen, konnte er-
hebliche Sanktionen nach sich ziehen.
109, 20-25 Dass Jahrtausende lang die europäischen Denker nur dachten, um
Etwas zu beweisen — heute ist uns umgekehrt jeder Denker verdächtig, der „Et-
was beweisen will“ —, dass ihnen bereits immer feststand, was als Resultat ihres
strengsten Nachdenkens herauskommen sollte, etwa wie ehemals bei der asia-
tischen Astrologie] Zur polemischen Parallelisierung von dogmatischer Philoso-
phie und Astrologie siehe NK 12, 3-9, zu derjenigen von Moral und Astrologie
NK 51, 22-25. Mit Asien - und damit die orientalischen antiken Hochkulturen
assoziierend - wurde die Astrologie schon in der Vorrede von JGB in Verbin-
dung gebracht. Die Astrologie gilt in JGB 188 als eine Praktik, deren Resultate
insofern immer schon feststehen, als sie die vernünftige, moralische Ordnung
des Universums und das Bezogensein der makrokosmischen Konstellationen
auf das mikrokosmische menschliche Individuum als Dogma zugrunde legt
und alles Geschehen in der Welt nur nach dieser dogmatischen Grundlage aus-
buchstabiert. Die Ergebnisoffenheit und die Bereitschaft, die eigenen Voraus-
setzungen kritisch-methodisch zu hinterfragen, fehlt der genannten „asiati-
schen Astrologie“, so dass sie sich geradezu als antiwissenschaftlich darstellt
(vgl. auch Lecky 1873, 1, 215 f.).
HO, 3-11 „Du sollst gehorchen, irgend wem, und auf lange: sonst gehst du zu
Grunde und verlierst die letzte Achtung vor dir selbst“ — dies scheint mir der
moralische Imperativ der Natur zu sein, welcher freilich weder „kategorisch“ ist,
wie es der alte Kant von ihm verlangte (daher das „sonst“ —), noch an den Ein-
zelnen sich wendet (was liegt ihr am Einzelnen!), wohl aber an Völker, Rassen,
Zeitalter, Stände, vor Allem aber an das ganze Thier „Mensch“, an den Men-
schen.] „Kategorisch“ im Sinne Kants ist dieser angebliche Imperativ der Natur
erstens deshalb nicht, weil der Adressat des Kategorischen Imperativs der ein-
zelne, zur Sittlichkeit fähige Mensch ist; zweitens, weil er an spezifische Bedin-
gungen geknüpft ist, also in Kants Terminologie ein Hypothetischer Imperativ
wäre. Der Kategorische Imperativ enthält „außer dem Gesetze nur die Notwen-
 
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