Stellenkommentar JGB 193, KSA 5, S. 113-114 521
114, 21-25 wir sind vermöge desselben reicher oder ärmer, haben ein Bedürfniss
mehr oder weniger und werden schliesslich am hellen lichten Tage, und selbst in
den heitersten Augenblicken unsres wachen Geistes, ein Wenig von den Gewöh-
nungen unsrer Träume gegängelt] Dass „es zwischen Wachen und Träumen kei-
nen wesentlichen Unterschied giebt“, wurde bereits in M 119, KSA 3, 113,
22 konstatiert.
114, 25-115, 8 Gesetzt, dass Einer in seinen Träumen oftmals geflogen ist und
endlich, sobald er träumt, sich einer Kraft und Kunst des Fliegens wie seines
Vorrechtes bewusst wird, auch wie seines eigensten beneidenswerthen Glücks:
ein Solcher, der jede Art von Bogen und Winkeln mit dem leisesten Impulse ver-
wirklichen zu können glaubt, der das Gefühl einer gewissen göttlichen Leichtfer-
tigkeit kennt, ein „nach Oben“ ohne Spannung und Zwang, ein „nach Unten“
ohne Herablassung und Erniedrigung — ohne Schwere! — wie sollte der
Mensch solcher Traum-Erfahrungen und Traum-Gewohnheiten nicht endlich
auch für seinen wachen Tag das Wort „Glück“ anders gefärbt und bestimmt fin-
den! wie sollte er nicht anders nach Glück — verlangen? „Aufschwung“, so wie
dies von Dichtern beschrieben wird, muss ihm, gegen jenes „Fliegen“ gehalten,
schon zu erdenhaft, muskelhaft, gewaltsam, schon zu „schwer“ sein.] Im Druck-
manuskript stand stattdessen: „So bin ich in meinen Träumen oftmals geflo-
gen, und sobald ich träume, bin ich mir der Kraft zu fliegen wie eines Vorrech-
tes bewußt, auch wie eines eigenen beneidenswerthen Glücks. Jede Art von
Bogen und Winkeln mit dem leisesten Impulse verwirklichen zu können, eine
fliegende Geometrie zu sein, mit dem Gefühle einer göttlichen Leichtfertigkeit,
dies ,nach Oben4 ohne Spannung und Zwang, dies „nach Unten“ ohne Herab-
lassung und Erniedrigung - ohne Schwere! - wie sollte diese Gattung
von Erlebnissen nicht endlich auch für meinen wachen Tag das Wort ,Glück4
anders färben und bestimmen - wie sollte ich nicht anders nach Glück -
verlangen? als - Andere? »Aufschwung4, so wie dies von Dichtern beschrieben
wird, ist mir, gegen jenes »Fliegen4 gehalten, zu muskelhaft, zu gewaltsam,
schon zu »schwer444 (KSA 14, 358 f.). Während diese Version eine persönliche
Erfahrung des sprechenden Ich zu artikulieren scheint, gibt die Transposition
des Subjekts in den un(ter)bestimmten „Einen“ in der Druckfassung von JGB
193 der behaupteten Rückwirkung von Traumerfahrungen auf Wirklichkeitser-
fahrungen einen wissenschaftlichen Anstrich: Statt einer subjektiven Empfin-
dung wird jetzt scheinbar ein von außen beobachteter, objektiver Sachverhalt
rapportiert. Dadurch wird der Eindruck von Allgemeingültigkeit erzeugt; die
behauptete Erfahrung erhält exemplarisches Gewicht - und zugleich wird an-
gezeigt, dass ein „Mensch solcher Traum-Erfahrungen und Traum-Gewohnhei-
ten“ weit über allen Dichtern steht, die sich mit bloßem „Aufschwung“ begnü-
gen. Die Vorstellung des Fliegen-Könnens und Fliegen-Sollens spielt bei N. spä-
114, 21-25 wir sind vermöge desselben reicher oder ärmer, haben ein Bedürfniss
mehr oder weniger und werden schliesslich am hellen lichten Tage, und selbst in
den heitersten Augenblicken unsres wachen Geistes, ein Wenig von den Gewöh-
nungen unsrer Träume gegängelt] Dass „es zwischen Wachen und Träumen kei-
nen wesentlichen Unterschied giebt“, wurde bereits in M 119, KSA 3, 113,
22 konstatiert.
114, 25-115, 8 Gesetzt, dass Einer in seinen Träumen oftmals geflogen ist und
endlich, sobald er träumt, sich einer Kraft und Kunst des Fliegens wie seines
Vorrechtes bewusst wird, auch wie seines eigensten beneidenswerthen Glücks:
ein Solcher, der jede Art von Bogen und Winkeln mit dem leisesten Impulse ver-
wirklichen zu können glaubt, der das Gefühl einer gewissen göttlichen Leichtfer-
tigkeit kennt, ein „nach Oben“ ohne Spannung und Zwang, ein „nach Unten“
ohne Herablassung und Erniedrigung — ohne Schwere! — wie sollte der
Mensch solcher Traum-Erfahrungen und Traum-Gewohnheiten nicht endlich
auch für seinen wachen Tag das Wort „Glück“ anders gefärbt und bestimmt fin-
den! wie sollte er nicht anders nach Glück — verlangen? „Aufschwung“, so wie
dies von Dichtern beschrieben wird, muss ihm, gegen jenes „Fliegen“ gehalten,
schon zu erdenhaft, muskelhaft, gewaltsam, schon zu „schwer“ sein.] Im Druck-
manuskript stand stattdessen: „So bin ich in meinen Träumen oftmals geflo-
gen, und sobald ich träume, bin ich mir der Kraft zu fliegen wie eines Vorrech-
tes bewußt, auch wie eines eigenen beneidenswerthen Glücks. Jede Art von
Bogen und Winkeln mit dem leisesten Impulse verwirklichen zu können, eine
fliegende Geometrie zu sein, mit dem Gefühle einer göttlichen Leichtfertigkeit,
dies ,nach Oben4 ohne Spannung und Zwang, dies „nach Unten“ ohne Herab-
lassung und Erniedrigung - ohne Schwere! - wie sollte diese Gattung
von Erlebnissen nicht endlich auch für meinen wachen Tag das Wort ,Glück4
anders färben und bestimmen - wie sollte ich nicht anders nach Glück -
verlangen? als - Andere? »Aufschwung4, so wie dies von Dichtern beschrieben
wird, ist mir, gegen jenes »Fliegen4 gehalten, zu muskelhaft, zu gewaltsam,
schon zu »schwer444 (KSA 14, 358 f.). Während diese Version eine persönliche
Erfahrung des sprechenden Ich zu artikulieren scheint, gibt die Transposition
des Subjekts in den un(ter)bestimmten „Einen“ in der Druckfassung von JGB
193 der behaupteten Rückwirkung von Traumerfahrungen auf Wirklichkeitser-
fahrungen einen wissenschaftlichen Anstrich: Statt einer subjektiven Empfin-
dung wird jetzt scheinbar ein von außen beobachteter, objektiver Sachverhalt
rapportiert. Dadurch wird der Eindruck von Allgemeingültigkeit erzeugt; die
behauptete Erfahrung erhält exemplarisches Gewicht - und zugleich wird an-
gezeigt, dass ein „Mensch solcher Traum-Erfahrungen und Traum-Gewohnhei-
ten“ weit über allen Dichtern steht, die sich mit bloßem „Aufschwung“ begnü-
gen. Die Vorstellung des Fliegen-Könnens und Fliegen-Sollens spielt bei N. spä-