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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0577
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Stellenkommentar Sechstes Hauptstück, KSA 5, S. 127 557

gibt. Das wird in JGB 211 zum Programm erhoben: „Die eigentlichen Phi-
losophen aber sind Befehlende und Gesetzgeber“ (KSA 5, 145,
7 f.). Der vermeintlichen Leitdifferenz von Wissenschaft und Philosophie ist die
Leitdifferenz zwischen jetziger, desolater und künftiger, machtvoller Philoso-
phie an die Seite zu stellen.
Das sprechende „Ich“ kann die Zukunft nicht vorwegnehmen. Eher er-
scheint das Sechste Hauptstück als Sammlung von Andeutungen, wie es um
die Philosophie der Zukunft, zu der laut Untertitel von JGB das gesamte Werk
ein „Vorspiel“ sein soll, dereinst bestellt sein könnte. Dieses „Ich“ selbst steht
noch im alten Äon; ja, es kommt zunächst im Gewand des Gelehrten daher.
Die Unterscheidungen, die es macht, sind gelehrte Unterscheidungen. Es ver-
kündet keine Gesetze, sondern heftet sich auf die Spur empirischer Differenzen
zwischen Philosophie und Wissenschaft, für die es zunächst eine scheinbar
wissenschaftliche Erklärung - das Überhandnehmen demokratischer Wer-
tungsweisen - zu geben versucht. Es prunkt das ganze Hauptstück über mit
gelehrten Einsprengseln, angefangen mit literarischen Anspielungen (vgl. NK
129, 4-6) bis hin zu historischen Details über Friedrich II. von Preußen (JGB
209, KSA 5,140 f.). Und doch ist die Gelehrsamkeit nur vorgetäuscht oder paro-
diert, missachtet das sprechende „Ich“ doch souverän die Gepflogenheit des
gelehrten Austausches: Weder befleißigt es sich einer geordneten, auf Nach-
vollziehbarkeit und strenge Folgerichtigkeit bedachten Argumentationstech-
nik, noch wird es für nötig befunden, Zitate nachzuweisen. Das „Ich“ bedient
sich des gelehrten Ertrags wie nach JGB 211 die „eigentlichen Philoso-
phen“ „über die Vorarbeit aller philosophischen Arbeiter, aller Überwältiger
der Vergangenheit“ verfügen (KSA 5, 145, 7-11): souverän und unbekümmert.
Das Sechste Hauptstück operiert nicht nur mit einer Differenz zwischen
Gelehrten und Philosophen, einer Differenz zwischen den antiken „Einsied-
lerin] des Geistes“ und den dekadenten Gegenwartsphilosophen sowie einer
Differenz zwischen den Philosophen der Vergangenheit und Gegenwart einer-
seits und den Philosophen der Zukunft andererseits. Eingetragen wird in diese
Differenzen auch noch eine politische Dimension: die Diagnose eines willens-
geschwächten Europas der Gegenwart, das unter dem Druck Russlands „sich
entschliessen müsste, gleichermaassen bedrohlich zu werden, nämlich Ei-
nen Willen zu bekommen, durch das Mittel einer neuen über Europa
herrschenden Kaste“ (JGB 208, KSA 5, 140, 4-7), sprich: der Zukunftsphiloso-
phen. Dazu kommt noch die Differenz zwischen den Philosophen als „Ge-
setzgebern]“ und den bloß „philosophischen Arbeiterin]“ (JGB 211, KSA 5,
145, 8-11).
Die verschiedenen Differenzierungsschemata - es kommen noch weitere
hinzu, beispielsweise in JGB 208 und 209 dasjenige zwischen einer schwachen
 
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