558 Jenseits von Gut und Böse
und einer starken Skepsis - helfen, eine negative Bestimmung der Philosophen
der Zukunft zu geben. Die Philosophen der Zukunft werden in mancher Hin-
sicht Skeptiker sein, aber nicht so, wie man heute aus Angst vor Festlegung
und ermüdetem Lebenswillen in Europa Skeptiker sei. Überdies werden sie
manche Eigenschaften von „Kritikern“ in sich tragen (vgl. JGB 210, KSA 5,
142 f.). Skeptisch Werte zersetzen, sich kritisch anderer, eigener Werte bedie-
nen, experimentell neue Werte erproben und schließlich als Gesetzgeber neue
Werte schaffen (vgl. NK 144, 24-26) - diese Tätigkeiten gelten als die gegen-
wärtig prognostizierbaren Charakteristika der künftigen Philosophen.
Das Sechste Hauptstück zeigt den promissorischen, den protreptischen
und den temptatorischen Charakter der gesamten Schrift in nuce. Es verspricht
eine neue Morgenröte der Philosophie, es führt in ein neues Philosophieren ein
und führt die Leser in Versuchung, mit sich selbst Experimente neuen Denkens
anzustellen. Zwar schlüpft das sprechende „Ich“ bzw. „Wir“ mit diesem Haupt-
stück in das Gewand des Gelehrten, aber doch nur, um diese Rolle in der Refle-
xion auf den Standort des Gelehrten gleich wieder zu transzendieren. Das
„Ich“/„Wir“ kann und will seine partielle Ähnlichkeit mit dem philosophischen
Arbeiter nicht verbergen, wenn es die Jetztzeit mit ihrer spezifischen Moral,
mit ihrer spezifischen Wertungsweise auf den Begriff bringt. Trotzdem kommt
subkutan das legislatorische Moment bereits zum Tragen, dekretiert das Sechs-
te Hauptstück doch, die Philosophen sollten Gesetzgeber sein, was sie gegen-
wärtig noch nicht sind. Das ganze Sechste Hauptstück zeichnet die Metamor-
phose des Gelehrten, des philosophischen Arbeiters zum Philosophen nach,
um den Typus des Zukunftsphilosophen im Modus der Negation mit neuen
Attributen anzureichern. Der schon in den ersten beiden Hauptstücken von
JGB beschworene ,,Wille[..] zum Nicht-Wissen, zum Ungewissen“ (JGB 24, KSA
5, 41,17 f.) zielt auf existenzielle Destabilisierung: Die Sicherheit des Gelehrten-
daseins entfällt (vgl. JGB 205, KSA 5, 133). Dabei ist die Weite, wenn nicht Wi-
dersprüchlichkeit in der Annäherungscharakteristik der Zukunftsphilosophen
offensichtlich: Einerseits sollen sie Gesetzgeber sein, stehen damit für Festle-
gung, andererseits halten sie als Versucher und Versuchende alles im Fluss
(vgl. im Hinblick auf den Nachlass als Feld schreibenden Experimentierens
Thüring 2015). Die Sprecherinstanz zeigt sich dabei selbst als Übergangsfigur,
als Werkzeug einer künftigen philosophischen Existenzform. Das Sechste
Hauptstück ist die Coda zum Ersten und Zweiten Hauptstück, die darlegen,
was der Philosoph der Zukunft alles nicht sein wird, nämlich weder ein Philo-
soph noch ein bloßer Freigeist im alten Stil. Der Philosoph soll sich vielmehr
als ,,cäsarische[r] Züchter“ und ,,Gewaltmensch[..]“ (JGB 207, KSA 5, 136, 21)
erweisen. Freilich erscheint das Postulat vom Herrscher-Philosophen für die
Gegenwart genauso kontrafaktisch, wie es zur Zeit Platons war und während
der gesamten Geschichte der abendländischen Philosophie über geblieben
und einer starken Skepsis - helfen, eine negative Bestimmung der Philosophen
der Zukunft zu geben. Die Philosophen der Zukunft werden in mancher Hin-
sicht Skeptiker sein, aber nicht so, wie man heute aus Angst vor Festlegung
und ermüdetem Lebenswillen in Europa Skeptiker sei. Überdies werden sie
manche Eigenschaften von „Kritikern“ in sich tragen (vgl. JGB 210, KSA 5,
142 f.). Skeptisch Werte zersetzen, sich kritisch anderer, eigener Werte bedie-
nen, experimentell neue Werte erproben und schließlich als Gesetzgeber neue
Werte schaffen (vgl. NK 144, 24-26) - diese Tätigkeiten gelten als die gegen-
wärtig prognostizierbaren Charakteristika der künftigen Philosophen.
Das Sechste Hauptstück zeigt den promissorischen, den protreptischen
und den temptatorischen Charakter der gesamten Schrift in nuce. Es verspricht
eine neue Morgenröte der Philosophie, es führt in ein neues Philosophieren ein
und führt die Leser in Versuchung, mit sich selbst Experimente neuen Denkens
anzustellen. Zwar schlüpft das sprechende „Ich“ bzw. „Wir“ mit diesem Haupt-
stück in das Gewand des Gelehrten, aber doch nur, um diese Rolle in der Refle-
xion auf den Standort des Gelehrten gleich wieder zu transzendieren. Das
„Ich“/„Wir“ kann und will seine partielle Ähnlichkeit mit dem philosophischen
Arbeiter nicht verbergen, wenn es die Jetztzeit mit ihrer spezifischen Moral,
mit ihrer spezifischen Wertungsweise auf den Begriff bringt. Trotzdem kommt
subkutan das legislatorische Moment bereits zum Tragen, dekretiert das Sechs-
te Hauptstück doch, die Philosophen sollten Gesetzgeber sein, was sie gegen-
wärtig noch nicht sind. Das ganze Sechste Hauptstück zeichnet die Metamor-
phose des Gelehrten, des philosophischen Arbeiters zum Philosophen nach,
um den Typus des Zukunftsphilosophen im Modus der Negation mit neuen
Attributen anzureichern. Der schon in den ersten beiden Hauptstücken von
JGB beschworene ,,Wille[..] zum Nicht-Wissen, zum Ungewissen“ (JGB 24, KSA
5, 41,17 f.) zielt auf existenzielle Destabilisierung: Die Sicherheit des Gelehrten-
daseins entfällt (vgl. JGB 205, KSA 5, 133). Dabei ist die Weite, wenn nicht Wi-
dersprüchlichkeit in der Annäherungscharakteristik der Zukunftsphilosophen
offensichtlich: Einerseits sollen sie Gesetzgeber sein, stehen damit für Festle-
gung, andererseits halten sie als Versucher und Versuchende alles im Fluss
(vgl. im Hinblick auf den Nachlass als Feld schreibenden Experimentierens
Thüring 2015). Die Sprecherinstanz zeigt sich dabei selbst als Übergangsfigur,
als Werkzeug einer künftigen philosophischen Existenzform. Das Sechste
Hauptstück ist die Coda zum Ersten und Zweiten Hauptstück, die darlegen,
was der Philosoph der Zukunft alles nicht sein wird, nämlich weder ein Philo-
soph noch ein bloßer Freigeist im alten Stil. Der Philosoph soll sich vielmehr
als ,,cäsarische[r] Züchter“ und ,,Gewaltmensch[..]“ (JGB 207, KSA 5, 136, 21)
erweisen. Freilich erscheint das Postulat vom Herrscher-Philosophen für die
Gegenwart genauso kontrafaktisch, wie es zur Zeit Platons war und während
der gesamten Geschichte der abendländischen Philosophie über geblieben