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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0581
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Stellenkommentar JGB 204, KSA 5, S. 129 561

l’oeuvre colossale de Richardson. Voyez Dante: le Paradis est, comme poesie,
comme art, comme suavite, comme execution bien superieur ä L’Enfer. Le Para-
dis ne se lit guere, c’est L’Enfer qui a saisi les imaginations ä toutes les epoques
[...]. Les grandes oeuvres subsistent par leurs cötes passionnes. Or, la passion,
c’est l’exces, c’est le mal. L’ecrivain a noblement rempli sa fache, lorsqu’en
prenant cet element essentiel ä tonte oeuvre litteraire, il l’accompagne d’une
grande legon. Ä mon sens une oeuvre profondement immorale est celle oü l’on
attaquerait les bases de la Societe par parti pris, oü l’on justifierait le mal, oü
l’on saperait la propriete, la religion, la justice ...“ (Balzac 1876b, 22, 367 f. „Sei-
ne Zeit in moralischer Hinsicht betrachten ist das Ziel, das jeder Schriftsteller
sich unterbreiten muss, andernfalls er nur ein Belustiger der Leute wäre; aber
hat die Kritik neue Verfahren den Schriftstellern anzuzeigen, die sie der Immo-
ralität anklagt? Nun hat das alte Verfahren immer darin bestanden, die Wunde
zu zeigen. Lovelace ist die Wunde im kolossalen Werk von Richardson. Sehen
Sie Dante: das Paradies ist als Poesie, als Kunst, als Lieblichkeit, als Ausfüh-
rung der Hölle weit überlegen. Das Paradies wird kaum gelesen, es ist die Höl-
le, die die Phantasie in jeder Zeit gefesselt hat [...]. Die großen Werke bestehen
wegen ihrer leidenschaftlichen Seiten weiter. Nun ist die Leidenschaft der Ex-
zess, das Übel. Der Schriftsteller hat seine Aufgabe vorzüglich erfüllt, wenn er,
indem er dieses wesentliche Element jedes literarischen Werkes aufgreift, es
mit einer großen Lektion begleitet. Nach meinem Empfinden ist ein zutiefst
unmoralisches Werk dasjenige, wo man die Grundlagen der Gesellschaft aus
Voreingenommenheit angriffe, wo man das Übel rechtfertigte, wo man das Ei-
gentum, die Religion, die Gerechtigkeit ... untergrübe“). Aber N. dürfte nach
Campioni/Morillas Esteban 2008, 276 dieses Zitat nicht in seinem ursprüngli-
chen Zusammenhang gefunden haben, sondern in der Einleitung L’histoire de
Chamfort von P. J. Stahl zu seiner Chamfort-Ausgabe. Dort heißt es: ,„Pour mo-
raliser en litterature, a dit Balzac ([...]), le procede a toujours ete de montrer la
plaie? Le veritable ennemi des hommes ne les evite pas; il reste au milieu
d’eux pour rire de leurs fautes.“ (Chamfort o. J., 32. ,„Um in der Literatur zu
moralisieren, hat Balzac gesagt ([...]), ist es immer das Verfahren gewesen, die
Wunde zu zeigen/ Der wahre Feind der Menschen meidet sie nicht; er bleibt
in ihrer Mitte, um über ihre Fehler zu lachen.“)
Die Verwendung des Balzac-Zitats zu Beginn des Hauptstücks über die Ge-
lehrten ist ein sprechender Beleg dafür, dass das auktoriale Ich gerade kein
Gelehrter ist, sondern bloß ein Gelehrter zu sein vor gibt: Zu den elementaren
Techniken der Gelehrsamkeit gehört es, Zitate in ihrem ursprünglichen Kontext
aufzusuchen und sie nicht einfach kritiklos aus einer sekundären Quelle zu
übernehmen. In dieser sekundären Quelle sowie in NL 1881, KSA 9, 15 [72], 658
ist Balzacs Wortlaut immerhin einigermaßen genau wiedergegeben, während
 
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