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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0605
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Stellenkommentar JGB 209, KSA 5, S. 140-141 585

Spinne Skepsis, er argwöhnte das unheilbare Elend eines Herzens, das zum Bösen
wie zum Guten nicht mehr hart genug ist, eines zerbrochnen Willens, der nicht
mehr befiehlt, nicht mehr befehlen kann.] Das gestörte Verhältnis von König
Friedrich Wilhelm I. zu seinem Sohn, dem Kronprinzen Friedrich, war zu N.s
Zeit ebenso Gegenstand vielfältiger historiographischer Bemühungen wie die
gegensätzlichen Interessen beider, vgl. z. B. Carlyle 1863, 1, 404-407; Carlyle
1863, 2, 240-246 u. ö. (zu Carlyle NK 99, 10-12); Ranke o. J., 459; Pierson 1881,
1, 271 sowie Bourdeau 1886, 598-600 (zu Bourdeau NK 136,15 f.), zu Friedrichs
Erziehung Bratuscheck 1885. JGB erschien im Jubiläumsjahr des 100. Todesta-
ges von Friedrich II., umrahmt von einer Vielzahl einschlägiger Publikationen.
In Eduard Zellers Monographie Friedrich der Große als Philosoph wird Fried-
richs Übergang von der Wolffschen Schulphilosophie zur Skepsis, die er nicht
mehr aufgegeben habe, detailliert geschildert, ohne in diesem Zusammenhang
freilich auf das Verhältnis zum Vater näher einzugehen (Zeller 1886, 12-15).
Ganz ausführlich - teilweise von N. mit Anstreichungen versehen - schildert
Saint-Ogan 1885, 201-226 die Entwicklungsgeschichte Friedrichs im Horizont
des französischen Kultureinflusses.
141, 8-14 Aber inzwischen wuchs in seinem Sohne jene gefährlichere und härte-
re neue Art der Skepsis empor — wer weiss, wie sehr gerade durch den Hass
des Vaters und durch die eisige Melancholie eines einsam gemachten Willens
begünstigt? — die Skepsis der verwegenen Männlichkeit, welche dem Genie zum
Kriege und zur Eroberung nächst verwandt ist und in der Gestalt des grossen
Friedrich ihren ersten Einzug in Deutschland hielt.] JGB 209 setzt bei seinen Le-
sern die Bekanntschaft mit den Auseinandersetzungen voraus, die der junge
Kronprinz Friedrich mit seinem Vater austrug und die 1730 zu einem vereitel-
ten Fluchtversuch aus der väterlichen Obhut führten. Für N. selbst war das
freilich Schulbuchwissen, und jedes zeitgenössische Konversationslexikon gab
breit darüber Auskunft: Friedrichs Freund und Fluchthelfer Hans Hermann von
Katte (1704-1730) wurde „durch einen vom Könige verschärften Spruch des
Kriegsgerichts vor den Augen F[riederich]s, der aus dem Fenster seines Gefäng-
nisses zusehen musste, hingerichtet. Auch F[riedrich] fürchtete für sein Leben,
obgleich das Kriegsgericht, vor das auch er gestellt war, ihm das Verbrechen
der Desertion als unausgeführt absprach. Indessen ist es Sage, dass der Vater
ihn dem Tode habe überantworten wollen und nur durch die Fürsprache eines
Geistlichen und des österr. Gesandten Grafen Seckendorf davon abgebracht
worden sei. Immerhin traf F[riederich] das harte Los des Gefängnisses, und
auch nach seiner Entlassung musste er unbedingt dem rücksichtslosen Willen
des Vaters weichen.“ (Brockhaus 1882-1887, 7, 329) JGB 210 justiert das Schul-
und Handbuchwissen dahingehend, dass die starke Skepsis als Kristallisati-
onsprodukt einer bestimmen genialen Naturanlage und des notwendigen Wi-
 
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