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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0608
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588 Jenseits von Gut und Böse

(1783) verwendet, um die Philosophie vor seiner kritischen Wendung zu cha-
rakterisieren: „Ich gestehe frei: die Erinnerung des David Hume war eben das-
jenige, was mir vor vielen Jahren zuerst den dogmatischen Schlummer unter-
brach und meinen Untersuchungen im Felde der speculativen Philosophie eine
ganz andre Richtung gab.“ (AAIV, 260, vgl. AAIV, 338 u. Kants Brief an Christi-
an Garve, 21. 09.1798, AA XII, 258) N. hat aber weder Kants Prolegomena, noch
dessen Briefwechsel gelesen, so dass ihm die bekannte Formulierung über se-
kundäre Quellen zugetragen worden sein wird, z. B. über Romundt 1885, 170:
„Kant aber nennt III. S. 108 die kosmologische Idee das merkwürdigste Phäno-
men der reinen Vernunft, welches auch unter allen am kräftigsten wirke, die
Philosophie aus ihrem dogmatischen Schlummer zu erwecken und sie zu dem
schweren Geschäfte der Kritik der Vernunft selbst zu bewegen.“ Zu Kants dog-
matischem Schlummer vgl. auch NK 24, 13-26.
142, 6-9 und wie es noch nicht zu lange her ist, dass ein vermännlichtes Weib
es in zügelloser Anmaassung wagen durfte, die Deutschen als sanfte herzensgute
willensschwache und dichterische Tölpel der Theilnahme Europa’s zu empfehlen]
Gemeint ist Anne Louise Germaine de Staels berühmtes, auf Napoleons Geheiß
1810 verbotenes und eingestampftes, schließlich 1813 publiziertes Buch De l’Al-
lemagne (1813), das das deutsche Geistesleben darstellte, verklärte und in der
Romantik gipfeln ließ. N. besaß eine deutsche Übersetzung (Stael 1815). JGB
209 kehrt die Mannhaftigkeit der starken Skepsis hervor und sieht in ihr den
spezifischen deutschen Beitrag zur europäischen Kultur - gegen diejenigen,
die mit Madame de Stael diesen Beitrag in der Erfindung des romantischen
Tiefsinns gesehen hatten. Vgl. NK 172, 7-12.
142, 9-14 Man verstehe doch endlich das Erstaunen Napoleon’s tief genug, als
er Goethen zu sehen bekam: es verräth, was man sich Jahrhunderte lang unter
dem „deutschen Geiste“ gedacht hatte. „Voilä un homme!“ — das wollte sagen:
„Das ist ja ein Mann! Und ich hatte nur einen Deutschen erwartet!“ —] Napole-
on ist Goethe am 2. Oktober 1808 in Erfurt begegnet. KSA 14, 363 führt als
Quelle Goethes Unterredung mit Napoleon (Goethe 1893, 269-276) an. Dort aber
hat der Kaiser den Dichter mit den Worten „vous etes un homme“ (ebd., 271)
angesprochen. Einschlägig sind demgegenüber Kanzler Friedrich von Müllers
Erinnerungen aus den Kriegszeiten 1806-1813 (1851), denen zufolge Napoleon
bei Goethes Abgang zu Alexandre Berthier und Pierre Antoine Noel Bruno Daru
gesagt habe: „Voilä un homme“ (Müller 1907, 139, wiederholt z. B. bei Goedeke
o. J., 170). Müllers Version, der übrigens im Vorzimmer auf Goethe warten
musste (Müller 1907, 137) und also nicht Ohrenzeuge der kaiserlichen Äuße-
rung gewesen sein kann, kolportiert in deutscher Übersetzung auch Bleibtreu
1886b, 76: ,„Das ist ein Mann!“4 Aber der Ausspruch des Kaisers war schon zu
 
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