596 Jenseits von Gut und Böse
Philosophen psychologisch oder genealogisch zu problematisieren, ebensowe-
nig, diesen Anspruch auf Gesetzgebungskompentenz mit den außerphilosophi-
schen Realitäten abzugleichen: Der Philosophen als Gesetzgeber scheint nie-
mand zu harren oder zu bedürfen - abgesehen von den Philosophen selbst.
Aus Platons Kratylos (388d) war N. der identifikatorische Bezug des Philoso-
phen zum vopo0ETq<;, zum Gesetzgeber geläufig, der zugleich die Namen gibt
(dvöporra TiOcaOai). N. kannte Theodor Benfeys einschlägige Abhandlung zu
diesem Dialog, die Platons Überlegungen zum namensverleihenden Gesetzge-
ber gründlich würdigt (Benfey 1866, 51-53). Genau dies, nämlich die Welt
durch Worte, durch eine neue Sprache zu verändern und ihr damit andere
Denkgesetzmäßigkeiten aufzuprägen, ist auch bei N. die noch immer gegebene
Option eigentlichen Philosophierens, ohne sich der Vorsicht anzubequemen,
mit der Benfey 1866, 133 in Erinnerung rief: „die Sprache, welche der mit dem
Dialektiker und Philosophen identificirte Gesetzgeber, vopo0ETq<;, zu schaffen
im Stand ist, ist nur ein Ideal“. Bei Oncken 1870, 1, 118 konnte N. Platon als
Paten seiner eigenen politischen Option benannt finden, habe für diesen doch
die „Demokratie“ zwangsläufig „die Tyrannis der Demagogen und Feldherren“
nach sich gezogen und „das Regiment der echten Staatsmänner und Gesetzge-
ber, der »Philosophen4 rein unmöglich“ gemacht.
Kant hat sich bekanntlich dem platonischen Wunsch widersetzt, die Philo-
sophen sollten Herrscher und Gesetzgeber sein, was ihn freilich nicht davon
abhielt, den Philosophen nach dem „Weltbegriff“ statt als „Vernunftkünstler“
als „Gesetzgeber der menschlichen Vernunft“ (Kritik der reinen Vernunft B 867 =
AAIII, 542) zu bestimmen. Begreift man aber mit der Grundlegung zur Metaphy-
sik der Sitten (A 70) den ,,Willen[.] eines jeden vernünftigen Wesens als all-
gemeingesetzgebenden Willen[.]“(AA IV 432), und impliziert dies,
dass die Vernunft vor aller Erfahrung im Menschen moralisch gesetzgebend
sei, ist die Frontstellung in N.s Text offenkundig: Weit davon entfernt, eine
allgemeine Vernunft anzunehmen, die jedermann zum Gesetzgeber, d. h. zum
autoritativen Deuter der Wirklichkeit macht, will er die gesetzgebende Autori-
tät den wenigen großen Individuen, den Philosophen der Zukunft vorbehalten
wissen.
Im späten 19. Jahrhundert scheint die Sehnsucht nach neuen Gesetzge-
bern, die nicht bloß tagespolitische oder ökonomische »Sachzwänge4 in legale
Form gießen, unter Intellektuellen verbreitet gewesen zu sein. Nur waren es
gewöhnlich die Künstler, die dafür als Projektionsfläche herhalten mussten, so
beispielsweise in Carl Bleibtreus Manifest Revolution der Literatur, das N. 1886
gelesen hat (vgl. NK 139, 2): „Shelley nennt Dichter in einem Essay richtig ,die
unbekannten Gesetzgeber der Welt4, weil sie die Herolde ihrer Zeit [sind]. Dem-
nach sind ,der schöne Wahnsinn4, die Inspiration, das Dämonische, unbedingt
Philosophen psychologisch oder genealogisch zu problematisieren, ebensowe-
nig, diesen Anspruch auf Gesetzgebungskompentenz mit den außerphilosophi-
schen Realitäten abzugleichen: Der Philosophen als Gesetzgeber scheint nie-
mand zu harren oder zu bedürfen - abgesehen von den Philosophen selbst.
Aus Platons Kratylos (388d) war N. der identifikatorische Bezug des Philoso-
phen zum vopo0ETq<;, zum Gesetzgeber geläufig, der zugleich die Namen gibt
(dvöporra TiOcaOai). N. kannte Theodor Benfeys einschlägige Abhandlung zu
diesem Dialog, die Platons Überlegungen zum namensverleihenden Gesetzge-
ber gründlich würdigt (Benfey 1866, 51-53). Genau dies, nämlich die Welt
durch Worte, durch eine neue Sprache zu verändern und ihr damit andere
Denkgesetzmäßigkeiten aufzuprägen, ist auch bei N. die noch immer gegebene
Option eigentlichen Philosophierens, ohne sich der Vorsicht anzubequemen,
mit der Benfey 1866, 133 in Erinnerung rief: „die Sprache, welche der mit dem
Dialektiker und Philosophen identificirte Gesetzgeber, vopo0ETq<;, zu schaffen
im Stand ist, ist nur ein Ideal“. Bei Oncken 1870, 1, 118 konnte N. Platon als
Paten seiner eigenen politischen Option benannt finden, habe für diesen doch
die „Demokratie“ zwangsläufig „die Tyrannis der Demagogen und Feldherren“
nach sich gezogen und „das Regiment der echten Staatsmänner und Gesetzge-
ber, der »Philosophen4 rein unmöglich“ gemacht.
Kant hat sich bekanntlich dem platonischen Wunsch widersetzt, die Philo-
sophen sollten Herrscher und Gesetzgeber sein, was ihn freilich nicht davon
abhielt, den Philosophen nach dem „Weltbegriff“ statt als „Vernunftkünstler“
als „Gesetzgeber der menschlichen Vernunft“ (Kritik der reinen Vernunft B 867 =
AAIII, 542) zu bestimmen. Begreift man aber mit der Grundlegung zur Metaphy-
sik der Sitten (A 70) den ,,Willen[.] eines jeden vernünftigen Wesens als all-
gemeingesetzgebenden Willen[.]“(AA IV 432), und impliziert dies,
dass die Vernunft vor aller Erfahrung im Menschen moralisch gesetzgebend
sei, ist die Frontstellung in N.s Text offenkundig: Weit davon entfernt, eine
allgemeine Vernunft anzunehmen, die jedermann zum Gesetzgeber, d. h. zum
autoritativen Deuter der Wirklichkeit macht, will er die gesetzgebende Autori-
tät den wenigen großen Individuen, den Philosophen der Zukunft vorbehalten
wissen.
Im späten 19. Jahrhundert scheint die Sehnsucht nach neuen Gesetzge-
bern, die nicht bloß tagespolitische oder ökonomische »Sachzwänge4 in legale
Form gießen, unter Intellektuellen verbreitet gewesen zu sein. Nur waren es
gewöhnlich die Künstler, die dafür als Projektionsfläche herhalten mussten, so
beispielsweise in Carl Bleibtreus Manifest Revolution der Literatur, das N. 1886
gelesen hat (vgl. NK 139, 2): „Shelley nennt Dichter in einem Essay richtig ,die
unbekannten Gesetzgeber der Welt4, weil sie die Herolde ihrer Zeit [sind]. Dem-
nach sind ,der schöne Wahnsinn4, die Inspiration, das Dämonische, unbedingt