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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0620
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600 Jenseits von Gut und Böse

21 als Resume einer Missbilligung der „Wagnerianer“, um dann erst 1882 zu
ihm zurückzukehren (NL 1882, KSA 10, 3[1]371, 98, 17). Von 1883 an mischten
sich im Nachlass die medizinisch-individualdiagnostischen und die kulturdiag-
nostischen Befunde zum Thema (NL 1883, KSA 10, 7[232], 314, lf.: „Willens-
Schwäche als Folge der Desorganisation und Zeichen des Verfalls.“ Siehe
auch NL 1883/84, KSA 10, 24[26], 660, 22; NL 1884, KSA 11, 25(160], 55, 29; NL
1885, KSA 11, 35[9], 512, 8f. = KGW IX 4, W I 3, 126, 16 f.). Angeregt worden
sein mag N. dazu vor allem durch die französische Diskussion: Zwei lange Ka-
pitel von Theodule Ribots Les maladies de la volonte handeln von den „affai-
blissements de la volonte“ (Ribot 1883, 35-92 - „Schwächungen des Willens“),
die sich bis zum „aneantissement de la volonte“ (ebd., 123-146 - „Vernichtung
des Willens“) steigern können. Schließlich ist auch in Jean-Marie Guyaus Es-
quisse d’une morale sans Obligation ni sanction, die N. im Vorfeld der Entste-
hung von JGB durcharbeitete, die „faiblesse de la volonte“ eine gängige Münze
der Individual- und der Kollektivbetrachtung (Guyau 1885, 96 u. 173). Vgl. auch
NK KSA 6, 236, 10 f. u. Cowan 2005.
146, 25-147,1 Zur Zeit des Sokrates, unter lauter Menschen des ermüdeten In-
stinktes, unter conservativen Altathenern, welche sich gehen liessen — „zum
Glück“, wie sie sagten, zum Vergnügen, wie sie thaten — und die dabei immer
noch die alten prunkvollen Worte in den Mund nahmen, auf die ihnen ihr Leben
längst kein Recht mehr gab, war vielleicht Ironie zur Grösse der Seele nöthig,
jene sokratische boshafte Sicherheit des alten Arztes und Pöbelmanns, welcher
schonungslos in’s eigne Fleisch schnitt, wie in’s Fleisch und Herz des „Vorneh-
men“, mit einem Blick, welcher verständlich genug sprach: „verstellt euch vor
mir nicht! Hier — sind wir gleich!“] Vgl. NK KSA 6, 71, 11-18 u. KGW IX 8, W II
5, 109, zur hedonistischen Tendenz von Sokrates’ athenischen Zeitgenossen
vgl. NK 28, 24. Aus dem sozialen Kontrast zwischen dem „Pöbelmann“ Sokra-
tes und den „vornehmen“ Athenern schlägt auch JGB 191 argumentativ-rhetori-
sches Kapital, um die spezifische Position des Philosophen im Verhältnis von
Vernunft und Instinkt zu bestimmen, vgl. NK 112, 10-23. Sokrates als faszinie-
rend-proletarisches Scheusal sollte N. in GD Das Problem des Sokrates ausführ-
lich würdigen, dabei fragend, ob denn „die Ironie des Sokrates ein Ausdruck von
Revolte“ sei (GD Das Problem des Sokrates 7, KSA 6, 70,20). Der Sokrates in Pla-
tons Dialogen bezeichnete sich selbst weder als Ei'pwv, Ironiker, noch charakteri-
sierte er sein Vorgehen als das der EiparvEia, der Ironie. Sein Auftreten ist jedoch
ironisch, insofern er sich gegenüber seinen Gesprächspartnern, den (vorneh-
men) Athenern verstellte, die über alles Mögliche so gut Bescheid zu wissen
schienen, indem er vorgab, gar keine Ahnung zu haben. Im Laufe des Dialogs
führte er sein Gegenüber dann fragend zur Selbsteinsicht, noch unwissender
zu sein. Schon bei Aristoteles steht bei der Behandlung der EipwvEia Sokrates
 
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