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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0657
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Stellenkommentar JGB 228, KSA 5, S. 163-164 637

werde: also daß das Streben nach englischem ,Glück4, ich meine nach comfort
und fashion auf dem rechten Pfade der Tugend sei: ja daß, so weit es in der
Welt Tugend gegeben habe, sie im derartigen Streben nach eignem, folglich
auch allgemeinem Glück bestanden habe: Niemand von allen diesen schwer-
fälligen, im Gewissen beunruhigten Heerden-Thieren — denn das sind sie alle-
sammt — will etwas davon wissen, daß es eine Rangordnung der Menschen
giebt, folglich Eine Moral für Alle eine Beeinträchtigung der höchsten Men-
schen ist, daß, was dem Einen billig ist, durchaus noch nicht dem Anderen es
sein kann; daß vielmehr das ,Glück der Meisten4 für Jeden ein Ideal zum Erbre-
chen ist, der die Auszeichnung hat, nicht zu den Meisten zu gehören.44
164,1-6 Man sehe sich zum Beispiel die unermüdlichen unvermeidlichen engli-
schen Utilitarier an, wie sie plump und ehrenwerth in den Fusstapfen Bentham’s,
daher wandeln, dahin wandeln (ein homerisches Gleichniss sagt es deutlicher),
so wie er selbst schon in den Fusstapfen des ehrenwerthen Helvetius wandelte]
Die Abhängigkeit des englischen Utilitaristen Jeremy Bentham (1748-1832) vom
französischen Materialisten Claude Adrien Helvetius (1715-1771) thematisierte
N. beispielsweise in NL 1885, KSA 11, 34[239], 500, 7-19 (KGW IX 1, N VII1, 19,
13-40, zitiert in NK106, 24-107,11). Die Auseinandersetzung mit Bentham (und
Helvetius) führte N. nicht über direkte Lektüre, sondern über sekundärliterari-
sche Umwege, namentlich Lecky 1879, 1, 7 und Guyau 1885 (vgl. den Auszug
in NK 161, 2-6), aber auch John Stuart Mill und Spencer 1879, 181-185.
An welches „homerische Gleichniss“ N. hier dachte, kann man aus der in
NK ÜK JGB 228 mitgeteilten Vorarbeit NL 1885, KSA 11, 35[34], 523, 15-524, 8
erschließen, derzufolge die Engländer „plump wie Hornvieh in den Fußtapfen
Bentham’s“ wandeln: In der Odyssee ist wiederholt von der schwerfälligen
Gangart der Rinder die Rede, nach der Übersetzung von Johann Heinrich Voß
eben „schwerwandelndes Hornvieh“ (Homer: Odyssee I 92; IV 320 und IX 46),
während kleinere gehörnte Tiere klassisches Herdenverhalten zeigen: „so fol-
gen die blockenden Schafe dem Widder/Hin zur Tränk’ aus der Weid’“ (Homer:
Illias XIII 492 f. nach Voß). „Hornvieh!“ notierte N. auch auf dem unteren Sei-
tenrand einer Polemik Spencers gegen die Staatsbegründungstheorie von Hob-
bes (Spencer 1879, 57, faksimiliert in NPB 569). Zu den Gleichnissen Homers
siehe auch N. an Reinhart von Seydlitz, 24. 07.1877, KSB 5/KGB II/5, Nr. 636,
S. 256, Z. 14 f. und dazu KGB II 7/3, 1, S. 231.
164, 6 f. (nein, das war kein gefährlicher Mensch, dieser Helvetius!)] In seinem
Handexemplar korrigierte N.: „(nein, das war kein gefährlicher Mensch, dieser
Helvetius, ce senateur Pococurante, mit Galiani zu reden —)“ (Nietzsche 1886,
175). In Galianis Brief an Madame d’Epinay vom 9. 03.1771 heißt es: „je voyais
le senateur Pococurante Helvetius“ (Galiani 1882, 1, 217. N.s Unterstreichung),
 
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