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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0666
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646 Jenseits von Gut und Böse

oder heute als englische Heils-Armee moralisch zu grunzen anfieng — der Buß-
krampf ihre höchste Leistung von »Humanität4; das soll man billig anerken-
nen.“
166, 30 f. zum Pascalischen sacrifizio dell’intelletto sich überreden lässt] Vgl. NK
39, 4f.
230.
JGB 230 hat zwei Stoßrichtungen, die sich nicht notwendig miteinander paa-
ren: Der erste Teil des Abschnitts versucht sich in einer Funktionsbeschreibung
dessen, was „vom Volke ,der Geist“4 (167, 13 f.) genannt wird, nämlich als eine
starke Kraft der Einverleibung und Assimilation, zugleich aber auch der Ab-
scheidung und Abschottung, des Täuschens und Getäuschtwerdens. Über
„Grausamkeit“ (168, 28) und das verdächtige Glitzerwort der „Redlichkeit“
(169, 2) wird der Bogen zum zweiten Teil geschlagen, der sich der Naturalisie-
rung des Menschen, der anthropologischen Abspannung als Obliegenheit des
„Wir“ widmet, das es sich zur „Aufgabe“ (169, 30) macht, den Menschen als
reines Naturwesen zu sehen und gegen alle Widerstände von metaphysischen
Lasten zu befreien. Die beiden Teile von JGB 230 speisen sich, wie Brusotti 2013
im Detail und deutungsscharf nachzeichnet, aus unterschiedlichen Vorarbeiten
im Nachlass (zur Interpretation von JGB 230 vgl. z. B. auch Dellinger 2012d, 151
u. Lampert 2001, 226-231; zur Hemmung von Produktivität durch Erkenntnis
in JGB 229-230 Dellinger 2012a, 237 f.). Die Grausamkeit, die ein Zug jener Kraft
sein soll, die gemeinhin „Geist“ heißt, wird im zweiten Teil von JGB 230 in
Aktion gezeigt, nämlich bei der Entlarvung der natürlich-menschlichen Misera-
bilität. Zugleich wird die mit der Grausamkeit im Bunde stehende Gewaltsam-
keit dem (staunenden) Leser dadurch performativ vor Augen geführt, dass
zunächst nicht zusammenhängende Gedankengänge brachial miteinander
verschweißt werden. Auch dieses Vermögen mag zu „unseren Tugenden“ ge-
hören.
167,11-29 Vielleicht versteht man nicht ohne Weiteres, was ich hier von einem
„Grundwillen des Geistes“ gesagt habe: man gestatte mir eine Erläuterung. —
Das befehlerische Etwas, das vom Volke „der Geist“ genannt wird, will in sich
und um sich herum Herr sein und sich als Herrn fühlen: es hat den Willen aus
der Vielheit zur Einfachheit, einen zusammenschnürenden, bändigenden,
herrschsüchtigen und wirklich herrschaftlichen Willen. Seine Bedürfnisse und
Vermögen sind hierin die selben, wie sie die Physiologen für Alles, was lebt,
wächst und sich vermehrt, aufstellen. Die Kraft des Geistes, Fremdes sich anzu-
eignen, offenbart sich in einem starken Hange, das Neue dem Alten anzuähnli-
 
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