Stellenkommentar JGB 239, KSA 5, S. 177-178 671
178, 2 f. die mächtigsten und einflussreichsten Frauen der Welt (zuletzt noch die
Mutter Napoleon’s)] Maria Laetitia Ramolino (1750-1836), „Madame Mere“, gilt
Vererbungstheoretikern wie Ludwig Büchner als Beispiel für die häufige Domi-
nanz der mütterlichen Linie gegenüber der väterlichen: „In der That lässt sich
nicht leugnen, dass von einer Anzahl genialer Männer bekannt geworden ist,
dass sie von geistig bedeutenden Müttern geboren wurden, während der Vater
einen gleichen oder ähnlichen Anspruch nicht erheben konnte. So soll die Mut-
ter Napoleons L, die bekannte Madame Lätitia, eine Frau von grosser
Klugheit und zugleich seltener Charakterstärke, aber auch von tyrannischem
Sinn gewesen sein. Sie pflegte ihren Gemahl auf den Kriegszügen der Korsika-
ner gegen Genuesen und Franzosen zu Pferde zu begleiten“ (Büchner 1882,
84).
178,15-17 Furcht und Mitleiden: mit diesen Gefühlen stand bisher der Mann vor
dem Weibe, immer mit einem Fusse schon in der Tragödie, welche zerreisst, in-
dem sie entzückt —.] „Furcht und Mitleiden“ löst die Tragödie beim Zuschauer
nach Aristoteles: Poetik 1449b 26-30 aus; sie sollen eine Katharsis bewirken.
N. spielte bis zur Ermüdung auf diesen (in seiner Deutung höchst umstrittenen)
locus classicus der Tragödientheorie an, vgl. z. B. NK 48, 22-27 u. NK 166, 9-13.
JGB 239 stilisiert nun das wünschenswerte Verhältnis des Mannes zur Frau als
tragisch. Späte Texte N.s deuten die Darstellung der Geschlechterbeziehung
und Liebe in Georges Bizets Carmen als exemplarisch tragisch, vgl. z. B. NK
KSA 6, 11, 2-4 u. NK KSA 6, 13, 5f.
178, 20-26 Oh Europa! Europa! Man kennt das Thier mit Hörnern, welches für
dich immer am anziehendsten war, von dem dir immer wieder Gefahr droht! Dei-
ne alte Fabel könnte noch einmal zur „Geschichte“ werden, — noch einmal könn-
te eine ungeheure Dummheit über dich Herr werden und dich davon tragen! Und
unter ihr kein Gott versteckt, nein! nur eine „Idee“, eine „moderne Idee“!.....] Der
antike Mythos berichtet von der phönizischen Königstochter Eupamp, Europa,
in die sich Zeus verliebte. Der Gott verwandelte sich in einen Stier, mit dem die
ahnungslose Prinzessin spielte, indem sie seine Hörner mit Blumen umkränzte,
bevor sie auf seinen Rücken stieg. Der Stier alias Zeus stürzte sich mit seiner
Beute ins Meer und tat sich Europa schließlich auf Kreta in seiner göttlichen
Gestalt kund (Ovid: Metamorphosen II 833-875). Das Ende des Siebenten
Hauptstücks sieht Europa - die Gesellschaften dieses Kontinents ebenso wie
die europäische Frau ,an sich4, das ,Ewig-Weibliche‘ Europas - einer neuen
Verführung verfallen, die sich aber nicht als viriler Gott, sondern als die letzt-
lich impotente politische Idee von der Gleichheit aller Menschen entpuppt.
178, 2 f. die mächtigsten und einflussreichsten Frauen der Welt (zuletzt noch die
Mutter Napoleon’s)] Maria Laetitia Ramolino (1750-1836), „Madame Mere“, gilt
Vererbungstheoretikern wie Ludwig Büchner als Beispiel für die häufige Domi-
nanz der mütterlichen Linie gegenüber der väterlichen: „In der That lässt sich
nicht leugnen, dass von einer Anzahl genialer Männer bekannt geworden ist,
dass sie von geistig bedeutenden Müttern geboren wurden, während der Vater
einen gleichen oder ähnlichen Anspruch nicht erheben konnte. So soll die Mut-
ter Napoleons L, die bekannte Madame Lätitia, eine Frau von grosser
Klugheit und zugleich seltener Charakterstärke, aber auch von tyrannischem
Sinn gewesen sein. Sie pflegte ihren Gemahl auf den Kriegszügen der Korsika-
ner gegen Genuesen und Franzosen zu Pferde zu begleiten“ (Büchner 1882,
84).
178,15-17 Furcht und Mitleiden: mit diesen Gefühlen stand bisher der Mann vor
dem Weibe, immer mit einem Fusse schon in der Tragödie, welche zerreisst, in-
dem sie entzückt —.] „Furcht und Mitleiden“ löst die Tragödie beim Zuschauer
nach Aristoteles: Poetik 1449b 26-30 aus; sie sollen eine Katharsis bewirken.
N. spielte bis zur Ermüdung auf diesen (in seiner Deutung höchst umstrittenen)
locus classicus der Tragödientheorie an, vgl. z. B. NK 48, 22-27 u. NK 166, 9-13.
JGB 239 stilisiert nun das wünschenswerte Verhältnis des Mannes zur Frau als
tragisch. Späte Texte N.s deuten die Darstellung der Geschlechterbeziehung
und Liebe in Georges Bizets Carmen als exemplarisch tragisch, vgl. z. B. NK
KSA 6, 11, 2-4 u. NK KSA 6, 13, 5f.
178, 20-26 Oh Europa! Europa! Man kennt das Thier mit Hörnern, welches für
dich immer am anziehendsten war, von dem dir immer wieder Gefahr droht! Dei-
ne alte Fabel könnte noch einmal zur „Geschichte“ werden, — noch einmal könn-
te eine ungeheure Dummheit über dich Herr werden und dich davon tragen! Und
unter ihr kein Gott versteckt, nein! nur eine „Idee“, eine „moderne Idee“!.....] Der
antike Mythos berichtet von der phönizischen Königstochter Eupamp, Europa,
in die sich Zeus verliebte. Der Gott verwandelte sich in einen Stier, mit dem die
ahnungslose Prinzessin spielte, indem sie seine Hörner mit Blumen umkränzte,
bevor sie auf seinen Rücken stieg. Der Stier alias Zeus stürzte sich mit seiner
Beute ins Meer und tat sich Europa schließlich auf Kreta in seiner göttlichen
Gestalt kund (Ovid: Metamorphosen II 833-875). Das Ende des Siebenten
Hauptstücks sieht Europa - die Gesellschaften dieses Kontinents ebenso wie
die europäische Frau ,an sich4, das ,Ewig-Weibliche‘ Europas - einer neuen
Verführung verfallen, die sich aber nicht als viriler Gott, sondern als die letzt-
lich impotente politische Idee von der Gleichheit aller Menschen entpuppt.