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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0695
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Stellenkommentar JGB 241, KSA 5, S. 179-181 675

2, N VII 2, 72, 2-12 enthalten: „Wir guten Europäer: wir haben Stunden, wo wir
uns eine leichte ''herzhafte'' Vaterländerei, einen herzhaften Tlumps u-1 Rück-
fall in alte Lieben u. Engen rgestatten, Stunden"1, in nationale ''patriotische'1
Wallungen, oder rin patriotische'' Beklemmungen ru dergleichen Gef-1 gestatten
ru allerhand andere-1 alterthümliche Gefühls-Überschwemmungen, gestatten.
Es ist dies im Grunde eine Höflichkeit, welche wir den unseren Vorfahren er-
weisen“.
Zu Beginn von JGB 241 notierte Karl Jaspers an den Rand seiner Ausgabe:
„Deutsch: Bismarckreich“ (Nietzsche 1923, 204). Tatsächlich scheint das „Ge-
spräch[.] von zwei alten »Patrioten“4 (181, 2f.), das den Mittelteil von JGB 241
ausmacht, von der Gründung des Deutschen Reiches durch Otto von Bismarck
zu handeln, über dessen Größe oder bloße Stärke die beiden Dialogpartner
uneins sind. Gegenüber diesen beiden Gesprächspartnern wahrt das sprechen-
de „Ich“ aber ironische Distanz (182, 5-9).
180, 18 Wir „guten Europäer“] Die aus der Vorrede geläufige (vgl. NK 13, 11-
16) Selbstcharakterisierung des „Wir“ als „gute Europäer“ (vgl. auch NK 183,
28-31 u. NK 151, 8 f.) hat namentlich in neuerer Zeit viele enthusiastische Für-
sprecher gefunden, ohne dass die Konkretionen von N.s europäischer Vision,
wie sie dann etwa JGB 242 entfaltet - „die Demokratisirung Europa’s ist zu-
gleich eine unfreiwillige Veranstaltung zur Züchtung von Tyrannen“ (183,
23-25) - von diesen Fürsprechern immer mitbedacht würden. Im politischen
Kontext der Zeit umfassend dargestellt wird das Europa-Thema des späten N.
bei Emden 2008 und Emden 2010, 286-323, zum Vergleich von N.s und Karl
Löwiths Europa-Aspirationen siehe Gentili 2012. Emden 2008 betont, dass die
Europa-Vision bei N. zu vage bleibe, um als realpolitische Alternative tatsäch-
lich Kraft zu entwickeln, mag sich die Aussicht am Ende von JGB 241, dass
„über den Starken ein Stärkerer Herr werden wird“ (182, 6 f.), auch als Aus-
druck von N.s Hoffnung auf seine eigene weltgeschichtliche Rolle dechiffrieren
lassen. Erstmals in einem Werk N.s wird in MA I 475 der ,,gute[.] Europä-
er“ bemüht, der „durch die That an der Verschmelzung der Nationen arbei-
tet.]“ (KSA 2, 309, 26-28). Zum Europa-Diskurs in den Zeitschriften des Zweiten
Kaiserreiches siehe die instruktiven Beiträge in Grünewald 1996.
180, 28 „Stoffe wechseln“] Vom physiologischen Begriff des Stoffwechsels
machte N. gerne metaphorischen Gebrauch, vgl. NK 46, 7-10 u. NK 54, 26-55,
5.
181, 7 Zeitalter der Massen] Das im 20. Jahrhundert populär werdende Schlag-
wort vom „Zeitalter der Massen“ lässt sich vor JGB 241 im deutschsprachigen
Schrifttum nicht nachweisen; in der Sache war sich N. mit seiner Diagnose
vom gegenwärtigen Massenzeitalter aber beispielsweise einig mit Alexis de
 
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