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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0707
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Stellenkommentar JGB 244, KSA 5, S. 184 687

Wahl zwischen Sand und Kotzebue dahingestellt gelassen hätte. Für Wagner
wie für den jungen N. war klar, dass Kotzebues Tendenz auf dem Theater und
überhaupt im Kulturleben beherrschend geworden war, und dass es darum
ging, sich unter Sands Banner auf das wahrhaft Altdeutsche zurückzubesin-
nen. Genau diesen Schritt vollzieht JGB 244 nicht nach: Kotzebue und Sand
repräsentieren hier zwei unterschiedliche Formen des Deutschtums, zwischen
denen ein freier Geist und guter Europäer nicht mehr zu wählen braucht. Beide
historische Gestalten sind nur noch als disparate Symptome jenes sich jeder
Definition verweigernden Konglomerats „Deutschsein“ interessant. Vgl. zu Kot-
zebue/Sand auch Schank 2000, 94 u. Rupschus 2013, 124 f.
184, 29-34 Jean Paul wusste, was er that, als er sich ergrimmt gegen Fichte’s
verlogne, aber patriotische Schmeicheleien und Übertreibungen erklärte, — aber
es ist wahrscheinlich, dass Goethe anders über die Deutschen dachte, als Jean
Paul, wenn er ihm auch in Betreff Fichtens Recht gab. Was Goethe eigentlich über
die Deutschen gedacht hat?] Im Druckmanuskript stand noch stattdessen: „Jean
Paul wusste, was er that, als er sich wüthend gegen Fichte’s unverschämte und
verlogne Schmeicheleien erklärte (man muß in der That schon bis zum letzten
Wagner und seinen Bayreuther Blättern heruntersteigen, um einem ähnlichen
Sumpf von Anmaaßung, Unklarheit und Deutschthümelei zu begegnen, als es
Fichte’s Reden an die deutsche Nation sind). Was Goethe über die Deutschen
dachte?“ (KSA 14, 369 f.) In 184, 32 soll es dort nach KSA 14, 370 statt „dass
Goethe anders über die Deutschen dachte“ geheißen haben: „dass die deut-
sche Jugend anders über die Deutschen dachte“.
Die von Johann Gottlieb Fichte 1807/08 in Berlin gehaltenen, 1808 publi-
zierten Reden an die deutsche Nation sollten gegen die napoleonische Herr-
schaft das Nationalgefühl anstacheln, einer „Nationalerziehung“ und einem
deutschen Nationalstaat den Weg bereiten. Im nationalistischen Diskurs des
19. Jahrhunderts spielten die Reden eine wichtige Rolle. Jean Paul unterzog
sie 1809 einer anonymen, stellenweise spöttischen, aber im Ganzen durchaus
wohlwollenden Rezension in den Heideibergischen Jahrbüchern der Literatur
(Zweyter Jahrgang. Fünfte Abteilung: Philologie, Historie, schöne Literatur und
Kunst, Bd. 1, Heft 1, S. 3-19). Es ist offen, ob N., in dessen Bibliothek sich weder
eine Jean Paul- noch eine Fichte-Ausgabe erhalten hat, Jean Pauls Kritik (und
Fichtes Original) tatsächlich gelesen hat; wahrscheinlicher ist eine sekundäre
Vermitlung, beispielsweise durch den letzten Abschnitt von Bruno Bauers Zur
Orientirung über die Bismarck’sche Ära: „Wenn es [sc. das „deutsche Blut“] sich
in den letzten Jahren durch einen militärischen Erfolg verleiten liess, sich vor
der Welt als die Auswahl der Völker zu brüsten, so war es ein Act der äussers-
ten Noth, dass Fichte 1808 in den ,Reden an die deutsche Nation ‘ das deut-
sche Blut durch ein Gemälde, in welchem sein Idiom als die einzige Ursprache,
 
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