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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0708
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688 Jenseits von Gut und Böse

seine Diction in Poesie und Prosa als die höchste Sprachleistung und sein Ge-
müth als die vollendetste Erscheinung in der Geschichte strahlte, zur Erman-
nung und Erhebung aufrufen wollte. Bei alledem ist es kein vortheilhaftes
Zeugniss für die Neigung der Deutschen zur nationalen Selbsterkenntniss, dass
Jean Paul Friedrich Richter’s gründliche Beurtheilung dieses Werks ([...]) so gut
wie unbeachtet, wenigstens ohne Wirkung vorüberging“ (Bauer 1880, 317).
185, 3-7 Gewiss ist, dass es nicht „die Freiheitskriege“ waren, die ihn freudiger
aufblicken liessen, so wenig als die französische Revolution, — das Ereigniss, um
dessentwillen er seinen Faust, ja das ganze Problem „Mensch“ umgedacht
hat, war das Erscheinen Napoleon’s.] Über Goethes Verhältnis zu den sogenann-
ten Befreiungskriegen, denen N. selbst ablehnend gegenüberstand (vgl. NK
KSA 6, 251, 27-252, 8 u. NK KSA 6, 360, 8-15), und über Goethes Verhältnis zu
Napoleon selbst sollte sich N. noch einmal in GD Was den Deutschen abgeht
4 äußern (dazu NK KSA 6, 106, 17-21). Goethe hat seine Begegnung mit dem
Kaiser der Franzosen ausgiebig gewürdigt, vgl. NK 142, 9-14. Unter deutschen
Interpreten ist nicht nur oft gefragt worden, inwiefern Goethes Napoleon-
Erfahrung seine Faust-Figur im zweiten Teil des Dramas geprägt habe (vgl. die
Quellenbelege und die Diskussion bei Seibt 2008, 246 f.), sondern man hat Goe-
the für seine Napoleon-Schwäche auch immer wieder gerügt. Emil Du Bois-
Reymond erklärte in seiner Berliner Rektoratsrede Goethe und kein Ende - al-
lerdings mit Bezug auf Faust I - jenes Goethe „so oft und bitter vorgeworfene
bewundernde IIpoaKUVEiv [sc. Kniefallen] vor dem furchtbaren Mann der That,
NAPOLEON“ wie folgt: „die ihm [sc. Goethe] fehlende Eigenschaft imponirte
ihm am meisten; es ist Faust, der sich dem Erdgeist beugt“ (Du Bois-Reymond
1883, 14). Pestalozzi 2012, 35 betont, es bleibe offen, ob in 185, 3-7 gemeint
sei, „dass für Goethe in Napoleon eine mythische Gestalt aktuelle Wirklichkeit
geworden sei“.
185,10 f. das berühmte deutsche Gemüth definirt er einmal als „Nachsicht mit
fremden und eignen Schwächen“] Vgl. NL 1885, KSA 11, 37[1O], 585, 4f. (KGW
IX 4, W I 6, 47, 36-38). Es handelt sich nicht um ein buchstäbliches Goethe-
Zitat, sondern um die Abwandlung des Schlusses von Maximen und Reflexionen
340: „Die Deutschen sollten in einem Zeiträume von dreißig Jahren das Wort
Gemüth nicht aussprechen, dann würde nach und nach Gemüth sich wieder
erzeugen; jetzt heisst es nur: Nachsicht mit Schwächen, eignen und fremden“
(Goethe 1853-1858, 3, 186).
185, 16 f. Schleichwege zum Chaos] Welche Wege die Deutschen in ihrer Ge-
schichte zu diesem Ziel hin eingeschlagen haben, erläutert an Beispielen Or-
succi 1996, 361-364. Vgl. auch NK 19, 15-17.
 
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