Metadaten

Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0768
License: Free access  - all rights reserved
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
748 Jenseits von Gut und Böse

tüchtig“ übersetzt wird (Passow 1841-1857, 1/2, 1189), während der substanti-
vierte Plural „oi ectOAoI“ als „die Edlen“ (ebd.) wiedergegeben zu werden
pflegt. Auf diesen Plural „die Wahrhaftigen“ (KSA 5, 263, 1) als aristokratische
Selbstbezeichnung spielt N. in JGB 260 und GM I 5 an; er konnte ihn beispiels-
weise finden bei Theognis: Elegiae I 57 („oi Ö£ npiv ectOAoi44) u. 71 (vgl. I 95;
189; 429; 441). Diese N. seit Schülertagen geläufigen Texte wurden ihm etwa
durch die Lektüre von Leopold Schmidts Die Ethik der alten Griechen wieder in
Erinnerung gerufen, der der Wahrhaftigkeit sogar einen von N. mit Markierung
versehenen Abschnitt widmet (Schmidt 1882, 2, 403-414). „In einem für uns
unübersetzbaren Distichon des Theognis, in welchem gesagt wird, dass in der
Gerechtigkeit alle Auszeichnung zusammengefasst sei und jeder gerechte
Mann gut sei (£v öe öiKaiocrvvr] (jvAArißörjv näo’ äpcrri ’gtiv, näq öe t’ ävrip
ayadöc;, Kvpve, ölxaioc; ecüv V. 147.148), bezeichnen gerade die durch »Gerechtig-
keit4 und »gerecht4 wiedergegebenen Ausdrücke das sittliche Verhalten, die
durch »Auszeichnung4 und »gut4 wiedergegebenen das hervorragende Ansehen
und die edle Abkunft. An den gleichen Begriff hefteten sich die ersten Anfänge
ethischer Reflexion. Das erste Buch der platonischen Republik lässt einen lehr-
reichen Einblick in die verschiedenen Versuche thun, welche gemacht wurden
ihn näher zu bestimmen: danach verlegte Simonides die Gerechtigkeit in die
Verbindung der Wahrhaftigkeit mit der Eigenschaft jedem das ihm Gebührende
zu gewähren (daselbst 331 c. e)“ (Schmidt 1882, 1, 303. Von N. am Rand mar-
kiert, Unterstreichungen von seiner Hand).
In seiner Diskussion des Wahrhaftigkeitsbegriffs konzentrierte sich
Schmidt freilich darauf, den Verzicht auf Täuschung als tugendhaft in den Vor-
dergrund zu stellen, aber nicht, wie N. mit seiner Übersetzung von ectOAoc;,
Wahrhaftigkeit als eine Art der aristokratischen Selbsttreue auszuweisen. „Der
Mensch aber ist dem Menschen nach jener nationalen Anschauung, für welche
es eine durchaus berechtigte Uebertragung des Kriegszustandes in das Privat-
leben giebt, keineswegs ohne Weiteres die Wahrheit schuldig, und selbst ein
näheres Verhältniss scheint im Allgemeinen nur zu erheischen, dass jede auf
den Nachtheil des andern abzielende Täuschung vermieden werde. Wohl aber
empfand der Grieche viel zu männlich um nicht für die Schönheit der Wahrhaf-
tigkeit Sinn zu haben, von der Hässlichkeit der Lüge abgestossen zu werden,
und darum lagen die beiden mit einander verwandten Betrachtungsweisen,
dass der Mensch durch Wahrhaftigkeit gottähnlich wird und dass sie eine For-
derung seiner persönlichen Würde ist, ihm durchaus nahe“ (ebd., 2, 403. Von
N. mit mehreren Randstrichen markiert, Unterstreichung von seiner Hand).
Vgl. Orsucci 1996, 268 u. zur Wahrhaftigkeit als Tugend nach Aristoteles bei
Schmidt 1882, 2, 399 auch NK 220, 30-221, 6.
209, 19-29 Es liegt auf der Hand, dass die moralischen Werthbezeichnungen
überall zuerst auf Menschen und erst abgeleitet und spät auf Handlungen
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften