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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Mitarb.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0775
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Stellenkommentar JGB 261, KSA 5, S. 212 755

die Galanterie lebte; die Damen, die in der Welt nur verheiratet erschienen,
waren auf den Ruf stolz, den ihre Liebhaber ihren Reizen verschafften: Sie
hatten es gern, von ihrem Troubadour gefeiert zu werden; sie fühlten sich von
den galanten, oft unanständigen Gedichten, die sich über sie ergossen, nicht
gekränkt; sie praktizierten auch die fröhliche Wissenschaft (eZ gai saber); so
nannte man die Dichtung; und sie drückten ihrerseits ihre Gefühle in zärtli-
chen oder leidenschaftlichen Versen aus: Sie hatten Liebeshöfe eingerichtet,
wo Fragen der Galanterie heftig debattiert und durch ihren Beifall entschieden
wurden; schließlich hatten sie dem ganzen Süden Frankreichs eine Karnevals-
bewegung gegeben, die mit den Ideen des Rückzuges, der Tugend und der
Bescheidenheit merkwürdig kontrastiert, die wir der guten alten Zeit zuschrei-
ben.“) Eine Bekanntschaft N.s mit Sismondis Werk ist indessen bisher nicht
belegt; nicht einmal sein Name scheint N. geläufig zu sein. Denkbar ist, dass
N. über sekundäre Vermittlung an Sismondis Bild vom gai saber teilgehabt hat.
261.
Vorbereitende Notizen zu diesem Text finden sich in KGWIX 2, N VII2, 65, 9-26
u. 63, 6-46. JGB 261 ist eifrig drum bemüht, die niedrige Herkunft der Eitelkeit
nachzuweisen, die hier nicht mit „Dünkel“ (213, 8) verwechselt werden darf
und die darauf beruht, dass das Selbstbewusstsein des Eitlen nicht auf Selbst-
gewissheit beruht, sondern hochgradig vom Urteil der Mitwelt abhängig ge-
macht wird. Darin drücke sich ein „Atavismus“ (213, 24 u. 214,18) aus, nämlich
die Gebundenheit des Wertes unterdrückter Gesellschaftsschichten, der „Skla-
ven“ an die Wertsetzungen ihrer Herren. Die bei N. immer wieder zu findenden
Überlegungen zur Eitelkeit, die teilweise auf die französischen Moralisten, auf
Schopenhauer und Ree zurückverweisen (vgl. NK 93, 2 f. u. NK 103, 8 f.), sind
schon innerhalb von JGB nur schwer zu vereinheitlichen; die Überlegungen
von JGB 261 erscheinen partiell als genealogisch-historisierende Vertiefung von
Argumenten, die etwa Eduard Reich in seinem von N. 1878 erworbenen System
der Hygieine resümiert hat, vgl. z. B. „[Jean-Louis Marc] Alibert nennt die Ei-
telkeit den Hochmuth der Schwachen; sie gehe gleichsam auf Stelzen, um die
Höhe der Starken zu erreichen; sie sei bei Kindern und Greisen sehr in Thätig-
keit, insbesondere aber rege sie sich beim weiblichen Geschlecht. Blaise Pas-
cal bezeichnet die Eitelkeit als so tief eingewurzelt im menschlichen Herzen,
dass ein Soldat, ein Packknecht, ein Koch, ein Lastträger eitel sei und seine
Bewunderer haben wolle“ (Reich 1870-1871, 1, 127). JGB 261 beschreibt ein-
gangs, wie schwer es für den „vornehmen Menschen“ (212, 25) sei, sich in den
Eitlen hineinzuversetzen, da seine Vornehmheit ja wesentlich darin besteht,
sich nicht vom Urteil anderer abhängig zu machen. Dieser Vornehme müsse
 
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