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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

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https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0777
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Stellenkommentar JGB 262, KSA 5, S. 213-214 757

nöthig werdende Blutsvermischung trägt dazu wesentlich bei. Allerwärts
beginnt die Geschichte mit Monopolen, Privilegien und Bevorzugungen, um
bei einigen, nicht bei allen Völkern mit allgemeiner, selbstredend relativer
Gleichheit zu enden, denn absolute Gleichheit verwehrt die Natur“ (Hell-
wald 1876-1877a, 1, 448).
214, 6-18 Der Eitle freut sich über jede gute Meinung, die er über sich hört
(ganz abseits von allen Gesichtspunkten ihrer Nützlichkeit, und ebenso abgesehn
von wahr und falsch), ebenso wie er an jeder schlechten Meinung leidet: denn er
unterwirft sich beiden, er fühlt sich ihnen unterworfen, aus jenem ältesten In-
stinkte der Unterwerfung, der an ihm ausbricht. — Es ist „der Sklave“ im Blute
des Eitlen, ein Rest von der Verschmitztheit des Sklaven — und wie viel „Sklave“
ist zum Beispiel jetzt noch im Weibe rückständig! —, welcher zu guten Meinungen
über sich zu verführen sucht; es ist ebenfalls der Sklave, der vor diesen Mei-
nungen nachher sofort selbst niederfällt, wie als ob er sie nicht hervorgerufen
hätte. — Und nochmals gesagt: Eitelkeit ist ein Atavismus.] In der Vorarbeit KGW
IX 2, N VII 2, 63, 36-46 heißt es stattdessen: „Der Eitle freut sich 'über'' jede
guten [sic] Meinung, welche er bis dahin [über sich hört] über sich hört u.
rebenso wie er an der schlechten leidet: denn"1 rer'' unterwirft sich ihr ''beiden'',
er sucht rzu'' gute Meinungen über sich zu verführen, um hinterher sich zum
Glauben daran selber zu verführen: - es ist eine rso isf-es will es die-1 unvorneh-
me Art der eit eitlen ru. Abkunft des-1 M.“ Zum Motiv vgl. NK 99, 2-4.
262.
Die für JGB 262 charakteristische Verquickung von Biologie (auf der Grundlage
von Rolph 1884) und menschlicher (Sozial-)Geschichte tritt in den Vorarbeiten
NL 1885, KSA 11, 35[22], 516-518 (KGW IX 4, W I 3, 122 u. 120, vgl. KGW VII 4/
2, 377) und KGW IX 5, W I 8, 195 f. noch stärker zutage. Zu Beginn von JGB 262
notierte Karl Jaspers an den Rand: „Geschichte: Züchtung des festen Typus -
als Lösung der Spannung“ (Nietzsche 1923, 245). Der Abschnitt stellt die He-
rausbildung von Individualität, von Variabilität als ein Überflussphänomen
dar, das in dem Augenblick zu beobachten ist, in dem einer Gesellschaft der
äußere Druck abhanden kommt und sie über große Ressourcen verfügt (vgl.
215, 26-28). In diesem Augenblick verliert die bisherige rigide Moral ihre Funk-
tion; es bricht ein Stadium der Experimente, der individuellen Selbst- und Mo-
ralerschaffung an, in dem freilich, so die für alles Vornehme ungünstige Pro-
phezeiung, die „Moral der Mittelmässigkeit“ (217, 6, dazu Reschke 1997, 258 u.
Behler 1975, 2) unter letztlich ironischen Decknamen wie „Maass und Würde
und Pflicht und Nächstenliebe“ (217, 8) evolutionär die beste Aussicht hat, sich
zu behaupten. Zur Interpretation von JGB 262 vgl. z. B. Schank 2000, 341 f.
 
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