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Sommer, Andreas Urs; Nietzsche, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Contr.]
Historischer und kritischer Kommentar zu Friedrich Nietzsches Werken (Band 5,1): Kommentar zu Nietzsches "Jenseits von Gut und Böse" — Berlin, Boston: De Gruyter, 2016

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.69929#0789
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Stellenkommentar JGB 268, KSA 5, S. 221 769

meinsam haben. Deshalb verstehen sich die Menschen Eines Volkes besser:
oder wenn M. lange in ähnlichen Bedingungen des Clima’s, der Thätigkeiten,
der Bedürfnisse zusammen gelebt haben, so gewinnt eine gewisse Gattung von
solchen ihnen allen nächstverständl. Erlebnissen die Oberhand: das schnelle
sich-Verstehn ist die Folge. Und das Sich-Verheirathen, und die Vererbung ist
wieder die Folge davon. Es ist das Bedürfniß, schnell u. leicht seine Bedürfnis-
se verstehen zu geben, was M. am festesten an einander bindet. Andererseits
hält Nichts eine Freundschaft, Liebschaft fest, wenn man dahinter kommt, daß
man bei den Worten Verschiedenes meint. Welche Gruppen von Empfindungen
im Vordergrund stehen, das bedingt nämlich die Werthschätzungen: die
Werthschätzungen aber sind die Folge unserer innersten Bedürfnisse. — Dies
ist gesagt, um zu erklären, warum es schwer ist, solche Schriften wie diese zu
verstehen: die inneren Erlebnisse, Werthschätzungen u. Bedürfnisse sind bei
mir anders. Ich habe Jahre lang mit M. Verkehr gehabt und die Entsagung u.
Höflichkeit so weit getrieben, nie von Dingen zu reden, die mir am Herzen
lagen. Ja ich habe fast nur so mit M. gelebt. —“ (KGW IX 1, N VII 1, 137, 2-42
u. 138, 2-32, vgl. auch die dort eingetragenen, späteren Änderungen sowie die
geglättete Fassung in NL 1885, KSA 11, 34[86], 448 = KGW IX 1, N VII 1, 137f.
und Benne 2005,194.) Dass die in der Vorarbeit noch nicht unmittelbar mit der
„Gemeinheit“ assoziierten Überlegungen schon bald dieser zugeordnet werden
sollten, geht aus NL 1885, KSA 11, 42[3], 693,19 hervor, einer Auflistung künfti-
ger Kapitel für die geplante Fortsetzung von MA: ,„Die Gemeinheit. — Worte
sind Tonzeichen für Begriffe“4. Thematisch eng verbunden ist JGB 268 - zu
dem Karl Jaspers an den Rand seines Handexemplars notierte: „Mitteilbarkeit.
Sich verstehen“ (Nietzsche 1923, 204) - mit FW 354, KSA 3, 590-593. Nach
Pichler 2012, 192 ist JGB 268 neben FW 354 der einzige Abschnitt in N.s späten
Werken, „der in einem Textsegment die Rede vom Bewusstsein und den Zei-
chen miteinander verknüpft“. Pichler folgert aus seiner Analyse (insbesondere
von FW 354), dass es bei N. eine Theorie des Bewusstseins im traditionellen
Sinne nicht gebe. Vgl. zum Hintergrund der Erörterung von Gemeinheit sowohl
im Sinne von Landläufigkeit als auch von Niedrigkeit in JGB 268 auch Fornari
2009, 264 f.
221, 8 f. Worte sind Tonzeichen für Begriffe] Im 19. Jahrhundert war der Aus-
druck „Tonzeichen“ oft ein Synonym für Musik-Noten, steht hier hingegen für
lautsprachliche Gebilde. Diese Verwendung der bei N. ohnehin sehr seltenen
„Tonzeichen“ ist in JGB 268 sowie den Vorarbeiten innerhalb seines CEuvres
singulär. Dennoch schloss N. damit durchaus an einen sporadischen schulphi-
losophischen Wortgebrauch an: „Das Sprachzeichen für einen Begriff heißt
man in der philosophischen Sprache einen Terminus. Das wahre Wesen des
Terminus besteht darin, daß er als bleibendes Tonzeichen eines Begriffes, und
 
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