Metadaten

Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]; Buckwalter, Stephen E. [Bearb.]; Schulz, Hans [Bearb.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 10): Schriften zu Ehe und Eherecht — Gütersloh, 2001

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.30230#0035
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2. CONSILIUM DE CONIUGIO LEPROSORUM

31

Im Folgenden stellt Bucer jedoch - in unmißverständlichem Einklang mit semen
späteren Äußerungen zum Thema4 5 - eindeutig fest, daß Gott selbst die Frau durch
die Erkrankung vom menschlichen Umgang abgesondert und somit ihre Ehe ge-
schieden habe. Da Gott nicht will, daß der Mensch allein sei (Gen 2,18) und zur Ver-
meidung von Unzucht die Ehe gebietet (I Kor 7,2), könne der gesunde Ehemann
durchaus erneut heiraten.
Eine entscheidende Rolle in Bucers Überlegungen spielt die Notwendigkeit für
den einzelnen Chnsten, der obrigkeitlichen Anordnung, Leprakranke von dem
Rest der Gesellschaft abzusondern3, zu gehorchen und das Wohlergehen der gesam-
ten Gemeinde anzustreben, etwa mdem er seinen Versorgungsauftrag gegenüber
Kindern und Verwandten (vgl. I Tim 5,8) wahrnimmt. Dieser Verantwortung ge-
genüber der Obrigkeit und der Gemeinde würde der gesunde Ehemann zuwider-
handeln, wenn er - in der falschen Meinung, etwas Gutes zu tun - die eheliche Ge-
meinschaft mit der kranken Frau fortsetzte und sich somit seiner gesellschafthchen
Verpfhchtung, den Kindern, Verwandten und Mitbürgern zu dienen, entzöge. Daß
der gesunde Mann, auch wenn er inzwischen wiederverheiratet wäre, seine ehema-
hge, ms Leprosorium eingewiesene Frau weiterhin zu versorgen hat, verstehe sich
von selbst. Bucer schließt mit dem ausdrücklichen Hmweis, den gegebenen Rat-
schlag allein auf diesen bestimmten Fall und nicht generell anzuwenden.
Für die Datierung sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. Das nach einem
Ratsbeschluß vom 16. Dezember 1529 geschaffene Straßburger Ehegericht bestand
aus drei Mitgliedern des Großen Rates und zwei der XXI6. Dieses ausschheßhch
von Laien besetzte Gremium7 hatte über alle Ehesachen zu entscheiden, konnte
aber m besonders schwierigen Fällen einen oder zwei Prädikanten zu Rate ziehen.8
Da die Protokolle des Straßburger Ehegerichts nicht erhalten sind9, kann eine mög-
liche Wechselwirkung zwischen diesem städtischen Gericht und der gutachterlichen
Tätigkeit der Straßburger Prediger leider nur auf der Grundlage von Vermutungen
rekonstruiert werden. Jedenfalls läßt es sich nicht ausschließen, daß Bucer dieses
Gutachten aufgrund einer solchen Anfrage des Ehegerichtes erstellte.
Auffällig ist aber die Tatsache, daß Bucer hier im Gegensatz zu seinem späteren,

4. Vgl. unten Nr. 10, S. 133 —137 sowie die sich mit Lepra befassenden Abschnitte seiner Ehe-
schrift für die Reichsstadt Ulm, unten S. 357,1-369,15.
5. Vgl. Reicke, Das deutsche Spital I, S.315.
6. Zur Struktur der Straßburger Stadtregierung vgl. Winckelmann, Straßburgs Verfassung,
S. 515-537; Adam, Straßburg, S. 2; Grescbat, Bucer, S. 60.
7. In anderen Städten waren auch Pfarrer Mitgheder des Ehegenchts.
8. Vgl. Köhler, Zürcher Ehegericht II, S.395; Wendel, Le mariage ä Strasbourg, S.77; Abray,
S. 188.
9. Köhler, Zürcher Ehegericht II, S. 398; Abray, S. 188. Zahlreiche Straßburger Archivalien sind
lm Laufe von verschiedenen histonschen Ereigmssen vermchtet worden, zuletzt durch die Beschie-
ßung der ausgelagerten Bestände des Stadtarchivs und der Umversitätsbibhothek durch die preußi-
sche Artillerie am 24. August 1870; ausführlich hierzu: QGT 7 (Elsaß I), S. VII. Die Ehegerichts-
protokolle mögen tn diesem Zusammenhang verlorengegangen sein.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften