Beilage zu Nr. 2
Gutachten Capitos und Hedios zu
Ehescheidung und Wiederheirat im Falle von Lepra
Von der Frau des Aussätzigen
[ca. 1526?]
Einleitung1
Das folgende Gutachten befmdet sich von der archivalischen Einordnung her un-
mittelbar vor demjenigen Bucers2 zum selben Thema und weist zahlreiche mhalt-
liche Parallelen mit diesem auf. Einen gewissen Anhaltspunkt für die Datierung
könnte der Bnef Wolfgang Capitos3 an Zwingli vom 3. Februar 1526 bieten, m wel-
chem er dem Zürcher Reformator von der Uneinigkeit der Straßburger m der Be-
handlung von Leprosenehen und von seiner eigenen Befürwortung der Erlaubnis
zur Ehescheidung berichtet.4 Die auffälligen Gemeinsamkeiten mit der vorherge-
henden Schrift Bucers - obwohl es sich natürlich um einen anderen Fall handelt - le-
gen die Herausgabe dieses Gutachtens seiner Straßburger Kollegen als Beilage nahe.
In dem vorliegenden Fall ist der Ehemann der Antragstellerin vor acht Jahren von
den zuständigen städtischen Behörden als aussätzig erkannt5 und m ein Leproso-
rium emgewiesen worden. Aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums der Krankheit
komme für die Frau eine Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft tnzwischen
mcht mehr m Frage. Außerdem wohne sie schon seit über einem Jahr mit emern an-
deren Mann zusammen, den sie für ihren eigentlichen Ehemann hält. Nun erhoffe
sie sich von den beiden ranghöchsten Straßburger Kirchenmännern6 eme Bestäti-
gung der Übereinstimmung ihrer neuen Heirat mit göttlichem Gesetz.
Wolfgang Capito und Kaspar Hedio7 erklären gleich zu Beginn, daß Gott selbst
die bishenge Ehe durch das Auftretenlassen der unheilbaren Krankheit de facto ge-
1. Zum Folgenden vgl. auch die Einleitung von Nr. 2, S. 30—32.
2. In diesem Band Nr.2, S. 33-37. Vgl. auch oben S.21.
3. Propst am St. Thomasstift m Straßburg. Zu lhm vgl. oben S. 29, Anm. 38.
4. »Diversificamur m comugio leprosorum, quibusdam asserentibus vinculum msolubile mxta
illud: >Quod deus coniunxit< etc. [Mt 19,6]. Nos a domino solutum affirmamus, qui per magistra-
tum separat, quos comunxerat. Item omnino m morbis perpetuis, quibus nulla spes est usus manta-
lis.« ZW 8, Nr.447, S. 518,2-12.
5. In Städten des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit wurden Leprakanke in städtische Le-
prosonen (Siechenhäuser) eingewiesen. Städtische Ärzte führten die Lepraschau durch. Zum
Untersuchungsverfahren und zur Aufnahme in das Leprosorium vgl. Reicke, Das deutsche Spital
II, S.259-279.
6. Capito war Propst des Thomasstiftes, Hedio war Münsterprediger; das bischöfliche Ehege-
richt, das noch bis 1524 die Behandlung solcher Fälle für sich in Anspruch nahm, wird selbstver-
ständhch umgangen.
7. Kaspar Hedio, Straßburger Münsterprediger von 1523 bis 1549. Zu ihm vgl. unten S. 50,
Anm. 47.
Gutachten Capitos und Hedios zu
Ehescheidung und Wiederheirat im Falle von Lepra
Von der Frau des Aussätzigen
[ca. 1526?]
Einleitung1
Das folgende Gutachten befmdet sich von der archivalischen Einordnung her un-
mittelbar vor demjenigen Bucers2 zum selben Thema und weist zahlreiche mhalt-
liche Parallelen mit diesem auf. Einen gewissen Anhaltspunkt für die Datierung
könnte der Bnef Wolfgang Capitos3 an Zwingli vom 3. Februar 1526 bieten, m wel-
chem er dem Zürcher Reformator von der Uneinigkeit der Straßburger m der Be-
handlung von Leprosenehen und von seiner eigenen Befürwortung der Erlaubnis
zur Ehescheidung berichtet.4 Die auffälligen Gemeinsamkeiten mit der vorherge-
henden Schrift Bucers - obwohl es sich natürlich um einen anderen Fall handelt - le-
gen die Herausgabe dieses Gutachtens seiner Straßburger Kollegen als Beilage nahe.
In dem vorliegenden Fall ist der Ehemann der Antragstellerin vor acht Jahren von
den zuständigen städtischen Behörden als aussätzig erkannt5 und m ein Leproso-
rium emgewiesen worden. Aufgrund des fortgeschrittenen Stadiums der Krankheit
komme für die Frau eine Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft tnzwischen
mcht mehr m Frage. Außerdem wohne sie schon seit über einem Jahr mit emern an-
deren Mann zusammen, den sie für ihren eigentlichen Ehemann hält. Nun erhoffe
sie sich von den beiden ranghöchsten Straßburger Kirchenmännern6 eme Bestäti-
gung der Übereinstimmung ihrer neuen Heirat mit göttlichem Gesetz.
Wolfgang Capito und Kaspar Hedio7 erklären gleich zu Beginn, daß Gott selbst
die bishenge Ehe durch das Auftretenlassen der unheilbaren Krankheit de facto ge-
1. Zum Folgenden vgl. auch die Einleitung von Nr. 2, S. 30—32.
2. In diesem Band Nr.2, S. 33-37. Vgl. auch oben S.21.
3. Propst am St. Thomasstift m Straßburg. Zu lhm vgl. oben S. 29, Anm. 38.
4. »Diversificamur m comugio leprosorum, quibusdam asserentibus vinculum msolubile mxta
illud: >Quod deus coniunxit< etc. [Mt 19,6]. Nos a domino solutum affirmamus, qui per magistra-
tum separat, quos comunxerat. Item omnino m morbis perpetuis, quibus nulla spes est usus manta-
lis.« ZW 8, Nr.447, S. 518,2-12.
5. In Städten des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit wurden Leprakanke in städtische Le-
prosonen (Siechenhäuser) eingewiesen. Städtische Ärzte führten die Lepraschau durch. Zum
Untersuchungsverfahren und zur Aufnahme in das Leprosorium vgl. Reicke, Das deutsche Spital
II, S.259-279.
6. Capito war Propst des Thomasstiftes, Hedio war Münsterprediger; das bischöfliche Ehege-
richt, das noch bis 1524 die Behandlung solcher Fälle für sich in Anspruch nahm, wird selbstver-
ständhch umgangen.
7. Kaspar Hedio, Straßburger Münsterprediger von 1523 bis 1549. Zu ihm vgl. unten S. 50,
Anm. 47.