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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]; Buckwalter, Stephen E. [Bearb.]; Schulz, Hans [Bearb.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 10): Schriften zu Ehe und Eherecht — Gütersloh, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.30230#0057
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4. OB DEN CHRISTEN ZIEME

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hauptungen im Blick auf Eheversprechen zu entscheiden hatten6. Vor diesem Hin-
tergrund gewinnt die von Bucer in der folgenden Schrift gestellte Frage, ob ein
Christ sein Eheversprechen zurücknehmen dürfe oder nicht, brennende Relevanz
für seine Zeitgenossen.
Bucer stellt m dieser knappen Abhandlung7 als Erstes fest, daß die Bibel keine
ausdrückhchen Aussagen zum Eheversprechen bietet. Andere Äußerungen Jesu
und der Apostel vermögen jedoch dem Christen eine Handlungsanleitung zu geben,
etwa die Aufforderung m der Bergpredigt zur unverfälschten, aufrichtigen Rede8,
die Anweisung des Paulus zum Gehorsam gegenüber die Obrigkeit9 sowie das Ge-
bot, jeghches Tun auf die Verwirkhchung der Nächstenliebe auszurichten10.
Sodann verkündet der Straßburger Reformator lapidar den Grundsatz, daß der
Christ ein Eheversprechen nicht aufkündigen dürfe. Gleich danach macht er aber
darauf aufmerksam, daß das römische Recht eine solche Aufkündigung erlaube und
nur geringfügig bestrafe. Wenn die weltliche Obrigkeit (wohl m Anlehnung an das
römische Recht) die Auflösung eines Eheversprechens zulasse, dann dürfe der
Chnst durchaus von diesem Recht Gebrauch machen. Schließlich sei das Ehever-
sprechen ein Vertrag über eine weltliche, menschliche Angelegenheit, und menschli-
che Verträge könnten grundsätzlich rückgängig gemacht werden.
Freilich habe der Christ sich nicht nur nach dem zu richten, was lhm erlaubt lst,
sondern müsse m erster Linie danach fragen, was dem Nächsten nütze. Aus dieser
Perspektive - auch wenn das kanonische Recht zu Unrecht die Auflösung von Ehe-
versprechen verhindere - sei klar, daß der Christ keineswegs eme wenn auch einver-
nehmliche Auflösung eines gemachten Eheversprechens anstreben könne. Anderer-
seits dürfe der Christ, wenn mehr Unheil durch die Ehe als durch lhre Auflösung zu
erwarten sei, durchaus die Verlobung absagen, dies jedoch nur unter ausdrück-
lichem Gebrauch einer von der Obrigkeit gewährten Erlaubms. Das knappe Gut-
achten endet mit einem scharfen Angriff auf die Weigerung des kanomschen Rechts,
die Rückgängigmachung des Eheversprechens zu erlauben. Bei allen anderen Ver-
trägen stehe der Auflösung bei gegenseitiger Einwilligung nichts im Wege; dies solle
deshalb durchaus möglich sein, wenn man als Christ einem eingegangenen Vertrag
mcht mehr zustimmen könne. Dem von christlichen Kaisern stammenden römi-
schen Recht gebühre der Vorrang vor päpstlichem Recht.
Die historische Einordnung dieses knappen Gutachtens lst nicht einfach. Es ist
möglich, daß Bucer es aufgrund einer Anfrage des nach Dezember 1529 geschaffe-
nen Straßburger Ehegerichts verfaßt hat.11 Die ausdrückliche Hervorhebung des rö-

6. Vgl. Dieterich, Das protestantische Eherecht, S. 22; Staehelin, Ehescheidung, S. 7; Harrington,
S. 56E
7. Vgl. auch die Besprechung dieser Schrift bei Köhler, Zürcher Ehegericht II, S. 378f. und Sel-
derhuis, I [uwclijk, S.245 (= Marriage, S.2i6f.).
8. Vgl. unten S. 55,8.
9. Vgl. unten S. 55,9.
10. Vgl. untenS. 55,7.
11. Zu der Zusammenstellung, der Vorgehensweise und den fehlenden Protokollen des Straß-
burger Ehegenchtes vgl. oben S. 23 mit Anm. 5.
 
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