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Bucer, Martin; Stupperich, Robert [Hrsg.]; Neuser, Wilhelm H. [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Strohm, Christoph [Hrsg.]; Buckwalter, Stephen E. [Bearb.]; Schulz, Hans [Bearb.]
Martin Bucers Deutsche Schriften (Band 10): Schriften zu Ehe und Eherecht — Gütersloh, 2001

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https://doi.org/10.11588/diglit.30230#0134
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IO. OB MALAZEI GENUGSAME URSACHE

ken Frau. Wie ist sein Scheidungsbegehren nach göttlichem und römischem Recht6
zu beurteilen?
Anders als lm Gutachten zur Geisteskrankheit als Scheidungsgrund hebt Bucer7 zu
Beginn semer Ausführungen mcht den Vertragscharakter der Ehe hervor, sondern
weist auf jhr Wesen und auf lhr von Gott bestimmtes Ziel hin [259]. Eine Ehe be-
steht nur, solange sie tatsächlich diesem Wesen und diesem Ziel entspricht.8
Und zum Wesen der Ehe gehört - mcht nur nach der Heiligen Schrift, sondern
auch nach Naturrecht und römischem Recht - die Fähigkeit und der Wille der Ehe-
partner, diejemgen Dienste und Hilfeleistungen zu vollbringen, die zur Ehe gehö-
ren. Hiermit meint Bucer msbesondere den Vollzug der geschlechtlichen Gemein-
schaft. Deshalb betrachte Chnstus schon die Preisgabe dieser Gemeinschaft durch
Ehebruch (Mt 19,9) und Paulus den Entzug derselben durch das böswillige Verlas-
sen des Ehepartners (I Kor 7,15 )9 als Scheidungsgrund. Auch bei Vorlage oder mcht
mehr rückgängig zu machendem Auftreten von Unfähigkeit zu sexuellem Verkehr
bei einem Ehepartner hat »man« - und damit bezieht sich Bucer auf das römische
und kanomsche Recht - immer die Ehescheidung gewährt. Schließlich bestätigen
auch Gen 2,24 und I Kor 7,2 die Bedeutung geschlechtlicher Gemeinschaft für die
Ehe.
So ergeben sich für die Entscheidung des Falles folgende Schlußfolgerungen
[260]: Gott hat die Ehe der betreffenden Frau mit Auftreten der unheilbaren Krank-
heit geschieden und sie durch die Bestimmung in Lev 13,46 von der Gesellschaft ab-
gesondert. Da der Mensch gemäß Gen 2,18 und I Kor 7,2 aber stets einen Anspruch
auf emen Ehepartner habe, dürfe der Ehemann eine neue Ehe eingehen.
Jesu Ausspruch in Mt 19,9 dürfe nicht als vermeintliche allgemeingültige Be-
schränkung der Scheidungsgründe allein auf den Ehebruch gedeutet werden, war sie
doch als Antwort auf eine sehr spezifische Frage der Pharisäer gemeint. Die Unbe-
kümmertheit, mit der Paulus in I Kor 7,15 ohne Berücksichtigung des Ehebruchs
die Wiederheirat erlaube, bestätige dies [261].
Zur Unterstützung seiner - wie Bucer weiß: umstrittencn - Ansicht zitiert er eine
6. Dieser Wunsch steht tn Widerspruch zu den Bestimmungen des Kirchenrechts, die dem ge-
sunden Ehepartner gebieten, dem leprakranken Ehepartner m die Absonderung zu folgen und wei-
terhin mit lhm m ehehcher Gemeinschaft zu leben: «... mandamus ..., ut uxores viros, et viri uxo-
res, qui leprae morbum mcurrunt, sequantur, et eis comugah affectione ministrent«, Liber Extra,
lib.4, tit. 8, c. 1, Friedberg II, Sp.6cjof.
7. Seine Autorschaft ergibt sich aus den mhaltlichen Ubereinstimmungen mit anderen Schnften
zum Thema sowie aus stihstischen Griinden.
8. Diese Schlußfolgerung ähnelt der Aussage Bucers im Gutachten zur Ehescheidung bei Gei-
steskrankheit, daß der Ehevertrag nur solange binde, wie die Vertragsbedingungen erfüllt werden.
Vgl. oben S. 125,4-6.
9. Paulus spricht in I Kor 7,15 nur das Verlassen einer christlichen Frau durch lhren ungläubigen
Ehemann an. Bucer überträgt die dort von Paulus dem chnstlichen Ehepartner gewährte Freiheit,
erneut zu heiraten (das sogenannte »Privilegium Pauhnum«; vgl. TRE 9, S. 329,3-27), pauschal auf
alle Fälle von böswilligem Verlassen. Vgl. auch Capitos und Hedios Anwendung des »Privilegium
Paulinum« auf die Lepraerkrankung (vgl. oben Beilage zu Nr. 2, S. 40-43) sowie Bucers Behand-
lung von I Kor 7,15 in seiner Ulmer Eheschrift, S. 249,7-250,8.
 
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