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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]; Arend, Sabine [Bearb.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0097
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Einleitung

5. Das evangelische Kirchenwesen nach dem Interim 1552-1618
Nachdem der Schmalkaldische Bund in der militärischen Auseinandersetzung mit dem Kaiser 1546 unter-
legen war, musste auch Ulm im August 1548 das kaiserliche Interim annehmen: Die evangelische Kirchen-
ordnung wurde außer Kraft gesetzt. Die Prädikanten hielt man bis zum 3. März 1549 in Kirchheim unter
Teck gefangen,177 setzte an deren Stelle Interimsgeistliche ein und restituierte das Augustinerchorherrenstift.178
Daneben hob Karl V. im Januar 1552 die Zunftverfassung des Großen Schwörbriefs von 1397 auf, indem er
einen von Patriziern dominierten Rat einsetzte.179 Die überwiegend evangelische Bevölkerung der Stadt
wehrte sich gegen die Rekatholisierungsversuche, indem sie die Messen störte und die Priester verspot-
tete.180
Nach dem Passauer Vertrag,181 der das Interim im August 1552 offiziell beendete, konnten die Evan-
gelischen ihren Glauben wieder öffentlich leben. Die Interimsgeistlichen wurden in die Ulmer Landgemein-
den abgeschoben, seit Weihnachten 1552 wurden das Abendmahl, wenig später auch Taufen und Ehe-
schließungen nach evangelischem Ritus vollzogen. Im Münster bestand jedoch zunächst noch ein Simul-
taneum von Katholiken und Evangelischen.182
Am 24. Mai 1553 beschloss der Ulmer Rat, Bucers Kirchenordnung von 1531 (Nr. 5) nicht wieder in
Geltung zu bringen, sondern den Wiederaufbau der evangelischen Kirche nach der sächsischen, mecklen-
burgischen und nürnbergischen Kirchenordnung einzurichten.183 Nachdem man zunächst der sächsischen
Richtung gefolgt war, legte eine vom Rat beauftragte Kommission, bestehend aus Georg Besserer, Hans
Krafft und Hieronymus Schleicher, am 9. Juli 1554 ein „Bedenken der Religion halben“ vor, worin sie
vorschlug, das Abendmahl sowie die Feiertage nach der württembergischen Ordnung zu halten.184 Der Rat

177 Arend, Rauber, S. 436; Litz, Bilderfrage, S. 98.
Frechts Briefe aus der Zeit der Gefangenschaft an seine
Frau sind abgedruckt bei Bossert/Meyer, Briefe
1881, S. 252-255; 1882, S.251-260.
178 Fritz, Kirchengeschichte 1931, S. 131-169; Specker,
Ulm, S. 144-147; Litz, Bilderfrage, S. 99; Spek-
ker/Weig, Einführung, S. 222-225; Lang, Katholi-
ken, S. 109f.; Rommel, Reichsstadt, S. 106-126.
179 Schlaier, Verfassung, S. 155-161. Die patrizische Ver-
fassung wurde im Schwörbrief von 1558 bekräftigt und
blieb bis zum Ende der Ulmer Reichsstadtzeit 1802
bestehen, vgl. Filtzinger, Ulm, S. 195-206, Anhang
S. 87; Baisch, Verfassung, S. 171-248; Schlaier, Ver-
fassung, S. 166-170; Specker, Ulm, S. 132-138; Spek-
ker/Weig, Einführung, S. 227; Rommel, Reichsstadt,
S. 88-105. Zur Verteilung der Konfessionen innerhalb
des Ulmer Rates nach dem Interim siehe Lang, Min-
derheit, S. 94; ders., Katholiken, S. 70-74.
180 So wurde in einem öffentlichen Ausruf am 16. August
1549 beklagt, das in der kirchen zu der pfarr zu zeiten, so
die predig, auch das ampt der meß und die vesper gehalten,
deßgleichen bey dem kindertauff und ehe insegnen, von jun-
gen und alten allerlay unzucht begangen werde in dem, das
etliche gleichsam verachtlicher weiß in der kirchen hin und
wider lauffen, weder der predig, meß oder andern kirchen
uhungen außwarten, sonder allain das gespott darauf trei-
ben, den priestern den rucken wenden und denselben weder
mit emplossung irer haupter noch in ander weg kain rever-
entz noch eer beweisen, StadtA Ulm A 3672, fol. 183r.
181 Zur Stellung Ulms während des Fürstenkriegs 1552 siehe
Specker, Ulm, S. 138f.

182 Fritz, Kirchengeschichte 1931, S. 169-206; Spek-
ker/Weig, Einführung, S. 228f.; Specker, Ulm,
S.147-149.
183 StadtA Ulm A 3530 Ratsprotokolle Bd. 22, fol. 318v: hat
ain e. rath im namen Gottes, des allmechtigen, auß allerlay
beweglichen ursachen durch das meerer [= die Mehrheit]
entschlossen, die religion alhie innhalt der Augspurgischen
Confession nach der sächsischen, meckelburgischen oder
nürnbergischen ordnung (wölche doch alle gleicher haltung
sein) anzustöllen; vgl. Fritz, Kirchengeschichte 1931,
S. 172-176. Die sächsischen Ordnungen vor 1553 sind
abgedruckt bei Sehling, EKO I, S. 142-305. Die Meck-
lenburger Kirchenordnung von 1552 in Sehling, EKO
V, S. 161-219, die brandenburg-nürnbergische Kirchen-
ordnung von 1533 in Sehling, EKO XI, S. 140-205
und in Osiander, Gesamtausgabe 5, S. 37-177.
184 Stadt A Ulm U 5961: Das erstens [...] in der pfarrkirchen
alhie unnsers haylands und herrn Jhesu Christi nachtmal
wie er sollichs, [...] in beeder gestallt zuniessen, eingesetzt,
nach vermög der wirtembergischen unnd pfältzischen ord-
nungen, wölchs beede im truckh außgangen unnd in disen
puncten deß herrn nachtmals unnd davor geender privat
absolucion aller dings auch von wort zu wort ainander
gleichförmig sein, bestöllt und angericht werden möchte.
Dozu mein g. herrn, die verordneten, furnamblich bewegt
und verursacht, das solche ordnungen nit allain, wie jetzo
gemeldet, der hailgen gotlichen schrifft (wölches auch das
höchst und fürnämbst), sonder auch der Augspurgischen
Confession [...] unnd dann der sächsischen ordnung, da-
rauff ain e. rath hievor geschlossen (ausserhalb etlicher
geringfueger ceremonien) gemäß und änlich geställt sein.

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