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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (17. Band, 2. Teilband = Baden-Württemberg, 4): Reutlingen, Ulm, Esslingen, Giengen, Biberach, Ravensburg, Wimpfen, Leutkirch, Bopfingen, Aalen — Tübingen: Mohr Siebeck, 2009

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https://doi.org/10.11588/diglit.30657#0335
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Einleitung

breitangelegtes Regelwerk gestellt werden. Ambrosius Blarer, der sich seit September 1531 in Esslingen
aufhielt, unterstützte den Magistrat in seinem Bemühen um die Sittenzucht und verfasste zusammen mit
einigen Ratsherren und weiteren Geistlichen der Stadt die gewünschte Ordnung. Hierbei griff er auf ver-
schiedene Vorlagen zuriick: Zum einen stützte er sich auf die von ihm selbst für Konstanz erarbeitete
Zuchtordnung vom 5. April 1531,46 von der er sich Anfang Dezember eine Abschrift nach Esslingen schicken
ließ.47 Neben dieser Vorlage, aus der zahlreiche Passagen oft wortgetreu in die Esslinger Ordnung übernom-
men wurden, stützte sich Blarer auf die Basler Kirchenordnung von 1529, die Johannes Oekolampad ent-
worfen hatte.48 Sie war das Vorbild für den Abschnitt Von den lesterern Gottes, unsers hailigen, Christenlichen
glaubens unnd der Sacramenten. Schließlich griff Blarer auf die lokale Esslinger Überlieferung zurück.
Bereits vor der Reformationseinführung hatte der Magistrat die sittliche Haltung seiner Bürger reglemen-
tiert:49 1521 war eine Zuchtordnung50 erlassen worden, worin Strafen gegen übermäßigen Alkoholkonsum,
Beschwörungen und Fluchen verhängt worden waren, 1529/30 wurde diese Ordnung um einen Erlass gegen
überschwängliche Hochzeitsfeierlichkeiten erweitert.51 Neu gegenüber den vorreformatorischen Ordnungen
war 1532 die Zusammenfassung der bisherigen Bestimmungen auf der Grundlage der neuen Lehre.
Die Esslinger Zuchtordnung wurde am 14. Januar 1532 öffentlich verkündet und am 19. April durch
Hans von Erfurt52 in Reutlingen gedruckt.53 Die einzelnen Bestimmungen, die vier Mal im Jahr von den
Kanzeln verlesen werden sollten,54 umfassten Maßgaben gegen notorische Laster wie Gotteslästerung,
Alkoholmissbrauch, Glücksspiel und Wucher. Um die Einhaltung der Bestimmungen zu kontrollieren und
die Vergehen zu ahnden, installierte der Rat ein Zuchtgericht. Dieses setzte sich - wie in Konstanz - aus
zwei Mitgliedern des kleinen Rates, einem aus dem großen Rat sowie einem Bürger und einem Geistlichen
zusammen.
Gegenüber den vorreformatorischen Esslinger Ordnungen zur Sittenzucht übernahm der Rat nun auch
im Bereich des Eherechts die Aufsicht. Die Zuchtordnung legt einen deutlichen Schwerpunkt auf das Ehe-
und Ehescheidungsrecht: Diese Themen nehmen nahezu die Hälfte des gesamten Textes ein.56 Der Rat
kündigte die Einrichtung eines städtischen Ehegerichts an, mit dem das bisher zuständige bischhöfliche
Gericht abgelöst werden sollte.57 Dieses Gremium wurde jedoch zunächst nicht als unabhängige Institution
installiert, sondern stand unter Kontrolle des Rates. 1554 erfuhr das Ehegericht eine Neuordnung und 1565
auf Grundlage der Ulmer Ehegerichtsordnung58 weitere Ausgestaltung: Als Entscheidungsträger fungierten
nun der zweite Bürgermeister, zwei Geheime, der Superintendent, je einer der Spital- und Kastenpfleger,
beide Konsulenten sowie der Stadtschreiber.59 Das Ehegericht war also ausschließlich mit Vertretern der
weltlichen Obrigkeit bestellt.
Die Umsetzung der in der Zuchtordnung verfügten Maßnahmen erwies sich in der Praxis als schwierig;
zum einen, weil die Bürger nicht willens waren, sich gegenseitig zu denunzieren, zum anderen, weil die
Esslinger Führungspersönlichkeiten sich selbst nicht strikt genug an die eigenen Gesetze hielten.60 Mit

46 Siehe Sehling, EKO XVII/1, S. 341-343, 384-409;
Hauss, Zuchtordnungen, S. 123. Köhler, Ehegericht
II, S. 128-132 weist die Abhängigkeiten der einzelnen
Kapitel von der Konstanzer Zuchtordnung nach.
47 Schiess, Briefwechsel I, Nr. 242 vom 2. Dezember
1531. Abschrift der Konstanzer Zuchtordnung im Esslin-
ger Stadtarchiv unter der Signatur F. 10 aufbewahrt.
48 Abdruck in: Roth, Aktensammlung 3, Nr. 473,
S. 383-410; vgl. Köhler, Ehegericht II, S. 128.
49 Köhler, Ehegericht II, S. 124f.
50 StadtA Esslingen, Reichsstadt, F. 10, OB I, p. 8-12.
51 StadtA Esslingen, Reichsstadt, F. 10, OB I, p. 85-87.
52 Zu Hans (Werlich) von Erfurt siehe Reske, Buchdruk-
ker, S. 785; Benzing, Buchdrucker, S. 389.

53 Schröder, Kirchenregiment, S. 296ff.; Köhler, Ehe-
gericht II, S. 126-132; Naujoks, Obrigkeitsgedanke,
S. 89f.
54 Vgl. auch unten, S. 380.
55 Köhler, Ehegericht II, S. 132; Schnaufer/Haff-
ner, Beiträge, S. 54-56.
56 Zu den hier ausführlich dargelegten Bestimmungen zum
Erbrecht vgl. Arnold, Erbrecht, S. 29-65.
57 Schröder, Kirchenregiment, S. 298-300; Köhler,
Ehegericht II, S. 135.
58 Abdruck oben, S. 255 Nr. 22.
59 Schröder, Kirchenregiment, S. 318; Köhler, Ehege-
richt II, S. 136-141.
60 Köhler, Ehegericht II, S. 134.

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