Metadaten

Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Arend, Sabine [Bearb.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (22. Band = Nordrhein-Westfalen, 2): Das Erzstift Köln - die Grafschaften Wittgenstein, Moers, Bentheim-Tecklenburg und Rietberg - die Städte Münster, Soest und Neuenrade - die Grafschaft Lippe (Nachtrag) — Tübingen: Mohr Siebeck, 2017

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33493#0341
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Einleitung

und sächsischem Vorbild mittels der jeweiligen Kirchenordnungen20 helfen zu wollen.21 Trotz beiderseitiger
Absichtserklärungen gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass Otto sein Vorhaben in die Tat umge-
setzt oder dass der Landgraf in den folgenden Monaten einen hessischen Superintendenten nach Rietberg
gesandt hätte. Aufgrund Ottos machtpolitischen Bestrebungen steht vielmehr zu vermuten, dass er seine
Reformationsabsicht gegenüber Philipp von Hessen nur deshalb äußerte, um nach dem Tod des Vaters die
alleinige Belehnung mit der Grafschaft Rietberg von Philipp zu erwirken.22 Gegen die These einer Einfiih-
rung der neuen Lehre in den 1530er Jahren spricht ferner, dass Otto IV. und Johann II. 1545 im Lager des
altgläubigen Herzogs Heinrichs d. J. (reg. 1514-1568) von Braunschweig-Wolfenbüttel standen, um dessen
vom Schmalkaldischen Bund besetztes Land wiederzugewinnen. Das Unternehmen misslang, woraufhin
Rietberg von hessischen und lippischen Truppen besetzt wurde, bis diese 1548 von kaiserlichen TVuppen
vertrieben wurden. Nach dem Ende des Schmalkaldischen Krieges belehnte Karl V. die Rietberger Stief-
brüder erneut mit der Grafschaft, was als Anerkennung für ihre kaisertreue Haltung gewertet werden kann.
Otto IV. starb schließlich 1552 im kaiserlichen Feldzug gegen den französischen König Heinrich II. bei
Metz.23
Auch Bernhard Elbert24, der Pfarrer an der Rietberger Pfarr- und Residenzkirche, wurde 1535 von Otto
IV. nicht deshalb abgesetzt, weil dieser einen evangelischen Prediger an seine Stelle setzen, sondern weil er
einen Parteigänger seines Bruders entfernen wollte. Elbert war einer der Vertrauensmänner des Paderbor-
ner Fürstbischofs Rembert von Kerssenbrock, und 1548 setzte dieser ihn als interimistischen Pfarrer an
St. Marien in Lemgo ein.25 Nach Ottos Tod 1552 trat Johann II. in Rietberg die alleinige Herrschaft an und

20 Flaskamp, Zur Kirchengeschichte der Grafschaft, S. 30f.
verweist auf Luthers Ordnungen von 1523-1535 und die
hessische Visitationsordnung von 1537. Hanschmidt,
Pfarrei St. Johannes Baptista, S. 12 geht bei der sächsi-
schen Ordnung von Melanchthons „Unterricht der Visi-
tatoren“ von 1528 aus.
21 Zu den frühen hessischen Ordnungen siehe Sehling,
EKO VIII, S. 37-100, zu den sächsischen Ordnungen
Herzog Friedrichs des Weisen siehe Sehling, EKO I,
S.142-200.
22 Brandt/Hengst, Erzbistum Paderborn 2, S. 64. Dem-
gegenüber Stupperich, Reformationsgeschichte, S. 55:
„Zu der von Philipp angekündigten Entsendung hessi-
scher Superintendenten kam es nicht. Gleichwohl wurde
nun die Reformation in dem kleinen Land planmäßig wei-
tergeführt“. Flaskamp, Zur Kirchengeschichte der Graf-
schaft, S. 29 vermutet, dass die angenommene Reforma-
tionseinführung in Rietberg durch die Entwicklung in den
benachbarten Grafschaften Lippe und Ravensberg sowie
die verwandtschaftlichen Bande der Rietberger mit den
Tecklenburgern und Bentheimern beeinflusst worden sei,
denn über Irmgart von Rietberg, die 1499 Otto VII. von
Tecklenburg (f 1534) geheiratet hatte, waren die Rietber-
ger Nachkommen miteinander verwandt. Über Agnes von
Bentheim, die seit 1552 mit Johann II. von Rietberg ver-
heiratet war, ergab sich auch die Verwandtschaft dieser
beiden Adelshäuser; ders., Hagemann, S. 121 erwägt, dass
das Rietberger Kirchenwesen seit 1535 Luthers Kirchen-
ordnungen folgte und später möglicherweise auf der lip-
pischen Kirchenordnung von 1538 oder der Osnabrücker
Land-Kirchenordnung von 1543 basierte. Beine/
Austermann, Ostfriesland, S. 43 vertreten die Ansicht,
dass die Reformation 1537 „rechtlich auch wohl vollzogen
worden war“.

23 Brandt/Hengst, Erzbistum Paderborn 2, S. 64f.;
Schwertener, Beiträge, S. llf.; Flaskamp, Zur Kir-
chengeschichte der Grafschaft, S. 33f. Demgegenüber
Stupperich, Reformationsgeschichte, S. 66: „Johann
nannte sich nun Johann II. Otto IV. brach daraufhin völ-
lig mit seiner Familie und mit Philipp. Er, der engagierte
Lutheraner, ging nunmehr zur politischen Gegenseite
über. Im Schmalkaldischen Krieg trat er gegen seine
Glaubensgenossen und seine Familie an. 1552 kam er im
Dienste des Kaisers vor Metz ums Leben“. Stupperichs
Argumentation, dass Otto IV. aus Enttäuschung über
seine vereitelte Alleinherrschaft die konfessionelle Seite
gewechselt habe, erscheint nicht schlüssig. Auch Schüpp,
Reformation, S. 82f. kann die Widersprüche im Verhalten
der Grafen nicht erklären: „1545 ... unterstützten die bei-
den Brüder - nun auf einmal gemeinsam und obwohl sie
evangelisch waren - den altgläubigen, noch dazu erklärten
Gegner Philipps von Hessen, Herzog Heinrich II. von
Braunschweig-Wolfenbüttel ... bei dem Versuch, sein
durch die TVuppen des Schmalkaldischen Bundes besetz-
tes Land zurückzugewinnen ... Während des Schmalkal-
dischen Krieges waren Stadt und Schloß Rietberg ein
wichtiger Stützpunkt für die kaiserlichen Truppen“. Ähn-
lich auch Hanschmidt, Pfarrei St. Johannes Baptista,
S. 13: „Obwohl Otto IV. viele Jahre auf kaiserlich-ka-
tholischer Seite gestanden hat, scheint die Reformation in
Rietberg von den Streitigkeiten im gräflichen Hause nicht
beeinträchtigt worden zu sein. Über eventuelle Rekatho-
lisierungsversuche ist jedenfalls nichts bekannt. Auch
nicht darüber, wie die Ordnung des lutherischen Kirchen-
wesens in Rietberg im einzelnen ausgesehen hat“.
24 Zu Bernhard Elbert siehe Hamelmann, Reformations-
geschichte, S. 421 Anm. 5.
25 Flaskamp, Zur Kirchengeschichte der Grafschaft, S. 39-

323
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften