Einleitung
volck verstan k6nne“. Er hatte die Lieder also aus verschiedenen Quellen zusammengestellt und die Texte
anschließend bearbeitet. Die Kirchenordnung enthält 47 Lieder und Gesänge, von denen acht innerhalb der
Messe, zehn innerhalb der Vesper und 29 als Anhang erscheinen. Während evangelische Gesangbücher im
16. Jahrhundert in der Regel auch lateinische Lieder beinhalten, nahm Wilken in die Neuenrader Kirchen-
ordnung ausschließlich deutschsprachige auf.26
Zu den in der Liturgie platzierten Gesängen ließ er nicht nur die Texte abdrucken, sondern ergänzte
diese auch mittels Notendruck um die Melodie.27 Bei zwei weiteren Liedern fügte er ebenfalls die Notation
hinzu, die übrigen waren in ihrer musikalischen Ausführung offenbar bekannt. Bei drei Liedern im hinteren
Teil der Ordnung wurden lediglich die leeren Notenlinien gedruckt. Die Noten selbst fehlten vermutlich
bereits in Wilkens handschriftlicher Druckvorlage, was möglicherweise auf einen gewissen Zeitdruck schlie-
ßen lässt, unter dem die Ordnung entstanden war.28
Wie aus Wilkens Angaben zum Gesangbuchanhang hervorgeht, griff er textlich und sprachlich in die
Lieder ein. So hatte er sämtliche Liedtexte in der in Neuenrade gebräuchlichen niederdeutschen Fassung
aufgenommen.29 Einige hochdeutsche oder fremde Wörter behielt er zwar um des Reimes willen bei, erläu-
terte diese aber mittels Randglossen.30 In Luthers Lied „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ ersetzte er die
Textzeile „und steuer des Papsts und Türken Mord“ durch: „und steuer aller Godlosen mort“. Dieser
Eingriff, der sich in keinem anderen zeitgenössischen Gesangbuch findet,31 zeugt davon, dass Wilken
Luthers scharfe Polemik gegen die Altgläubigen nicht teilte.
Wilken übernahm die Lieder jedoch nicht nur aus verschiedenen Quellen, sondern kann auch selbst als
Schöpfer von vier Liedern in der Ordnung gelten.32 Aus seiner Feder stammt schließlich auch das Sanctus
der Messliturgie, das zwar an Luthers Sanctus-Lied „Jesaja, dem Propheten, das geschah“ angelehnt ist,
aber um zwei zusätzliche Heilig-Gesänge ergänzt wurde.33 Obwohl Wilken es nicht explizit erwähnt, nahm
er auch bei den Melodien Veränderungen vor, indem er die gregorianischen Vorlagen, die den liturgischen
Gesängen zugrundelagen, für den Gemeindegesang vereinfachte.34 Die Neuenrader Kirchenordnung
erlangte zwar nur eine räumlich eingeschränkte Wirkung innerhalb der kleinen Stadt Neuenrade,35 die
Melodie des Neuenrader „Sanctus“ fand letztlich jedoch Eingang in das heutige Evangelische Gesang-
buch.36
26 Gryczan, Melanchthonschüler, S. 326-329; Oven,
Gesangbücher, S. 14; Krause, Geschichte, S. 38-40.
27 Vgl. Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 6/7,
S. 80.
28 Vgl. Gryczan, Melanchthonschüler, S. 329; Nelle,
Wilckens Kirchenordnung, S. 110.
29 Zu Wilkens Sprachgebrauch siehe Binz, Lercheimer,
S.167-169.
30 Etwa: „De sick thom Vader geven hat“ (in Luthers deut-
schem Patrem), Glosse: ,,l[ies:] De ein Vader geworden is“.
„Vöre henuth den Sieg im flesch“ (in Luthers Veni
redemptor), Glosse: „1. Victoriam, överwinninge“. „Giff
uns jut herte der leve brunst“ (in Luthers Veni creator),
Glosse: „1. Brand, Hitte“. „das is myn trost und trüwe
Hort“ (in Luthers De profundis), Glosse: „1. Thoflucht,
thoversicht“, vgl. Wolters, Hermann Wilcken, S. 81f.
Anm. 72; Nelle, Wilckens Kirchenordnung, S. 110;
Gryczan, Melanchthonschüler, S. 327 Anm. 8, S. 337
Anm. 66, S. 342 Anm. 98.
31 Gryczan, Melanchthonschüler, S. 350f. verweist zwar
darauf, dass auch das Bonnische Gesangbuch diese Vari-
ante enthält, sich bei den anderen Strophen aber von der
Neuenrader Textfassung unterscheidet. Vgl. Nelle,
Gesangbücher, S. 129; ders., Wilckens Kirchenordnung,
S.110.
32 Es handelt sich um: „Als Christus de Herre wolde lyden“
(Abendmahlslied); „Dit is de dach herlick und schon“
(Vesperhymnus); „Ewigem schepper aller ding“ (Vesper-
hymnus); „Eth is up düsser erden nicht“ (Psalmlied),
Gryczan, Melanchthonschüler, S. 357, 334-337, 339f„
343, 353-355.
33 Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 6/7,
S. 79-82; HDEKM 1, S. 54, 577; Gryczan, Melanch-
thonschüler, S. 295-299; Krause, Geschichte, S. 39f.;
Bauks, Anfänge, S. 133; Stievermann, Neuenrade,
S. 115; Schlick, Gemeinde- und Gedenkbuch, S. 53.
34 Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 6/7, S. 80;
HDEKM 1, S. 547 Nr. 106.
35 Blesken, Daten, S. 320 vermutet, dass die Neuenrader
Kirchenordnung „in den meisten märkischen Gemeinden
dem Gottesdienst und allen andern kirchlichen Handlun-
gen zugrunde gelegt“ worden sei, bleibt aber jeglichen
Beleg schuldig.
36 EG 185.1. Freundlicher Hinweis von Irene Dingel, Mainz.
509
volck verstan k6nne“. Er hatte die Lieder also aus verschiedenen Quellen zusammengestellt und die Texte
anschließend bearbeitet. Die Kirchenordnung enthält 47 Lieder und Gesänge, von denen acht innerhalb der
Messe, zehn innerhalb der Vesper und 29 als Anhang erscheinen. Während evangelische Gesangbücher im
16. Jahrhundert in der Regel auch lateinische Lieder beinhalten, nahm Wilken in die Neuenrader Kirchen-
ordnung ausschließlich deutschsprachige auf.26
Zu den in der Liturgie platzierten Gesängen ließ er nicht nur die Texte abdrucken, sondern ergänzte
diese auch mittels Notendruck um die Melodie.27 Bei zwei weiteren Liedern fügte er ebenfalls die Notation
hinzu, die übrigen waren in ihrer musikalischen Ausführung offenbar bekannt. Bei drei Liedern im hinteren
Teil der Ordnung wurden lediglich die leeren Notenlinien gedruckt. Die Noten selbst fehlten vermutlich
bereits in Wilkens handschriftlicher Druckvorlage, was möglicherweise auf einen gewissen Zeitdruck schlie-
ßen lässt, unter dem die Ordnung entstanden war.28
Wie aus Wilkens Angaben zum Gesangbuchanhang hervorgeht, griff er textlich und sprachlich in die
Lieder ein. So hatte er sämtliche Liedtexte in der in Neuenrade gebräuchlichen niederdeutschen Fassung
aufgenommen.29 Einige hochdeutsche oder fremde Wörter behielt er zwar um des Reimes willen bei, erläu-
terte diese aber mittels Randglossen.30 In Luthers Lied „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ ersetzte er die
Textzeile „und steuer des Papsts und Türken Mord“ durch: „und steuer aller Godlosen mort“. Dieser
Eingriff, der sich in keinem anderen zeitgenössischen Gesangbuch findet,31 zeugt davon, dass Wilken
Luthers scharfe Polemik gegen die Altgläubigen nicht teilte.
Wilken übernahm die Lieder jedoch nicht nur aus verschiedenen Quellen, sondern kann auch selbst als
Schöpfer von vier Liedern in der Ordnung gelten.32 Aus seiner Feder stammt schließlich auch das Sanctus
der Messliturgie, das zwar an Luthers Sanctus-Lied „Jesaja, dem Propheten, das geschah“ angelehnt ist,
aber um zwei zusätzliche Heilig-Gesänge ergänzt wurde.33 Obwohl Wilken es nicht explizit erwähnt, nahm
er auch bei den Melodien Veränderungen vor, indem er die gregorianischen Vorlagen, die den liturgischen
Gesängen zugrundelagen, für den Gemeindegesang vereinfachte.34 Die Neuenrader Kirchenordnung
erlangte zwar nur eine räumlich eingeschränkte Wirkung innerhalb der kleinen Stadt Neuenrade,35 die
Melodie des Neuenrader „Sanctus“ fand letztlich jedoch Eingang in das heutige Evangelische Gesang-
buch.36
26 Gryczan, Melanchthonschüler, S. 326-329; Oven,
Gesangbücher, S. 14; Krause, Geschichte, S. 38-40.
27 Vgl. Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 6/7,
S. 80.
28 Vgl. Gryczan, Melanchthonschüler, S. 329; Nelle,
Wilckens Kirchenordnung, S. 110.
29 Zu Wilkens Sprachgebrauch siehe Binz, Lercheimer,
S.167-169.
30 Etwa: „De sick thom Vader geven hat“ (in Luthers deut-
schem Patrem), Glosse: ,,l[ies:] De ein Vader geworden is“.
„Vöre henuth den Sieg im flesch“ (in Luthers Veni
redemptor), Glosse: „1. Victoriam, överwinninge“. „Giff
uns jut herte der leve brunst“ (in Luthers Veni creator),
Glosse: „1. Brand, Hitte“. „das is myn trost und trüwe
Hort“ (in Luthers De profundis), Glosse: „1. Thoflucht,
thoversicht“, vgl. Wolters, Hermann Wilcken, S. 81f.
Anm. 72; Nelle, Wilckens Kirchenordnung, S. 110;
Gryczan, Melanchthonschüler, S. 327 Anm. 8, S. 337
Anm. 66, S. 342 Anm. 98.
31 Gryczan, Melanchthonschüler, S. 350f. verweist zwar
darauf, dass auch das Bonnische Gesangbuch diese Vari-
ante enthält, sich bei den anderen Strophen aber von der
Neuenrader Textfassung unterscheidet. Vgl. Nelle,
Gesangbücher, S. 129; ders., Wilckens Kirchenordnung,
S.110.
32 Es handelt sich um: „Als Christus de Herre wolde lyden“
(Abendmahlslied); „Dit is de dach herlick und schon“
(Vesperhymnus); „Ewigem schepper aller ding“ (Vesper-
hymnus); „Eth is up düsser erden nicht“ (Psalmlied),
Gryczan, Melanchthonschüler, S. 357, 334-337, 339f„
343, 353-355.
33 Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 6/7,
S. 79-82; HDEKM 1, S. 54, 577; Gryczan, Melanch-
thonschüler, S. 295-299; Krause, Geschichte, S. 39f.;
Bauks, Anfänge, S. 133; Stievermann, Neuenrade,
S. 115; Schlick, Gemeinde- und Gedenkbuch, S. 53.
34 Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch 6/7, S. 80;
HDEKM 1, S. 547 Nr. 106.
35 Blesken, Daten, S. 320 vermutet, dass die Neuenrader
Kirchenordnung „in den meisten märkischen Gemeinden
dem Gottesdienst und allen andern kirchlichen Handlun-
gen zugrunde gelegt“ worden sei, bleibt aber jeglichen
Beleg schuldig.
36 EG 185.1. Freundlicher Hinweis von Irene Dingel, Mainz.
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