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Wolgast, Eike [Editor]; Seebaß, Gottfried [Editor]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Editor]; Sehling, Emil [Bibliogr. antecedent]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band = Niedersachsen, 1. Hälfte, 1. Halbband): Die Fürstentümer Wolfenbüttel und Lüneburg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1955

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https://doi.org/10.11588/diglit.30040#0155
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Kirchenordnung 1569

desto geschicklicher sein möchte zum wort,
gebet und gottesdienste. Der meinung haben
die alten auch vor Ostern, etliche mehr, etliche
weniger tage oder wochen, wie Irenaeus 75 und
Socrates in Historia ecclesiastica 76 zeugen, ge-
fastet, auf das sie das leiden Christi mit grösse-
rer andacht betrachten, ihm für seine auferste-
hung danken, zu wahrer buß und rechtem ge-
brauch der sacrament sich schicken möchten.
Darnach aber hat der bapst darauß sonderliche
verdienste und gnugthuung, wie gemeldet, ge-
machet.

Wenn nu auf solche weise der meinung und
zu dem ende ohn zwang und aberglauben ein
Christ zu zeiten fastet und die seinen dazu helt,
sonderlich, wenn sie zur absolution und abend-
mal des Herrn gehn wöllen, das ist nicht allein
nicht unrecht, sondern hat herliche, löbliche
exempel in der schrift, und nach denselbigen
exempeln kan auch in gemeinen fürstehenden
nöten in der kirchen ein gemein fasten ange-
stellet werden zu dem ende, daß das gemeine
gebet mit mehrer andacht geschehen möge, wie
davon in der schrift viel schöner exempel sind.

Also auch, wenn jemand in seiner haußhal-
tung eine ordnung macht oder helt, wenn er
wölle fleisch oder fisch speisen, und solchs
geschicht ohne aberglauben allein umb eusser-
licher policey und ordnung willen, das ist nicht
wieder Gott; denn das reich Gottes stehet nicht
in essen und trinken, Rom. 14 [17], und die
speise, es sey fleisch oder fisch, essen oder nicht
essen, macht uns Gott nicht angenehm, 1. Corinth.
8 [8], sondern diß alles stehet einem Christen
seines gewissens halben zu messigem brauch
frey, allein das anderer leute schwache gewissen
nicht dadurch geergert werden, Rom. 14 [1].

Mit der lehre vom beten hats eben die mei-
nung, wie vom fasten gesaget. Gleich wie nun
Christus der phariseer beten strafft, Matth. 6
[5] und 23 [28]; Lu. 18 [9 — 14], und damit das

75 Fragmentum III; MSG 7,1229 (bei Euseb., Hist.
eccl. V, 24, 12 f.; MSG 20,500 ff., Schwartz, S.
212 f.; auch bei Nicephorus Kall., Hist. eccl.
IV,39; MSG 145,1066).

beten an sich selbs nicht verwirft, sondern leh-
ret dagegen, wie man recht beten solle, und ver-
manet die seinen mit allem ernst zum gebet,
also wenn ein prediger das papistische beten
straffen will, muß er sich woll verwaren, das
es die leute nicht also aufnehmen, als dürfte
man nun gar nicht beten, sondern der miß-
brauch wird gestrafft, das die papisten eben wie
die phariseer entweder zum schein beten oder
setzen das beten darauf, das sie viel wort mit
dem munde plappern ohne verstand, andacht und
glauben, wie man an den rosenkrenzen die
Pater noster unserm Herrn zugezelet hat und
gleichwoll solch beten, darin der bitter nichts
gewisses von Gott bate, hat man nicht allein
für ein sonderlich gutt werk, sondern für einen
verdienst außgegeben, item das sie im gebet
nicht allein Gott, sondern auch neben demselbi-
gen die heiligen anruffen und das vertrauen
der erhörung nicht allein auf Christum stellen,
sondern auf die fürbite und verdienst der hei-
ligen. Diß wird und soll auch auß Gottes wort
in der papisten gebet gestrafft werden.

Dagegen aber sollen die leute auß Gottes
wort mit vleiß underweiset werden, was ein
rechtschaffen gebet sey, nemlich das Gott allein
angeruffen werde und das nicht allein der
mund bete, sondern das es geschehe im Geist
und in der warheit, Joan. 4 [24], in wahrer
busse, Jsai. 1 [16 f.]; Joan. 9 [31], und in rech-
tem glauben, Mar. 11 [23 — 25]; Jacobi 1 [6], und
das etwas außdrucklichs in geistlichen oder
zeitlichen sachen für uns oder für andere, das
Gottes willen nicht entgegen ist, von Gott ge-
beten werde, also daß das erste und fürnemste
im gebet sey, was belanget geistliche, himlische
und ewige güter, darnach das in zeitlichen sa-
chen allzeit die clausula daran gehenget werde:
Vater, dein wille geschehe, Matth . 6 [10]; Johan.
16 [23]; 1. Joh. 4 [11], und daß das vertrauen
der erhörung allein auf Christum und umb sei-

76 Hist. eccl. V,21; MSG 67.624. V,22; MSG 67,
632 — 636.

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