Wolfenbüttel
und ganz geferlich was zu freien, das hat dem
lieben apostel niemals getreumet.
Derhalben ist anfanges wol zu merken, das
der klosterjungfrauenstand nicht ein besonderer
stand für sich selbst sey, das, wer sich in den-
selben begebe, Gott viel angenemer sein solte,
denn so er freiet, sondern ist, w Tie gehört, an-
fanges .anders nichts, denn ein schul und zucht-
stand gewesen, darin die jungfreulin zur furcht
Gottes und christlichen zucht gehalten, damit
sie nachmals in dem heiligen ehestande gleicher
gestalt auch kinder aufziehen könten, wie sie
durch Gottes gnade geleret und in der zucht
gehalten worden.
Zum andern, so viel die drey artickel belanget,
welche ein jede jungfrau geloben und ver-
sprechen müssen, nemlich den gehorsam, die
keuscheit und willige armut 15, sind dieselbige
auch durch den listigen betrug des leidigen
sathans verkeret 16 und in einen frembden, un-
rechten verstand gezogen worden.
Nemlich das die keuscheit 17 auf den jungfreu-
lichen stand allein gezogen, nicht anders, als
wenn der eheliche stand nicht auch ein keu-
scher, reiner, heiliger stand were, darin man
gleich so wol keuscheit, reinigkeit und heilig-
keit vor Gott halten kan, als in dem jung-
freulichen stande, ja, eben darumb, das etliche
die gabe der keuscheit im jungfreulichen stande
nicht haben, vermanet und gebeut S. Paulus,
das sie freien und im ehelichen stande keuscheit
halten sollen, da er also spricht [1. Cor. 7, 2]:
Umb der hurerey willen (verstehe, dieselbige
zu vermeiden) so habe ein jede ihren eigen man
15 Eine Ermahnung zu williger Armut, Keusch-
heit und Gehorsam enthielt schon die sog.
Regel Augustins für die Nonnen von Hippo,
vgl. Ep. 211; MSL 33, 958 ff. CSEL 57, 356 ff.
Wo in den Frauenklöstern die Benediktiner-
regel eingeführt wurde, wie dieses das
1. dtsche Nationalkonzil v. 742 befahl, muß-
ten die Nonnen in eben der Weise wie die
Mönche die Gelübde einschl. stabilitatis loci
ablegen, vgl. M. Heimbucher, a. a. O. Bd. I,
S. 166 und 304. Von den Kanonissen wurde
z. T. im 11. Jhdt. eine strengere Lebensweise
angenommen und die 3 feierlichen Gelübde
abgelegt, vgl. M. Heimbucher, a. a. O. S. 458.
und ein jeglicher sein eigen weib. Wie denn
der apostel 18 an diesem ort besonders behüt-
sam und fürsichtig ist und keinem menschen
rhet, das er keuscheit in ewiger jungfrauschaft
geloben oder verheissen sol, sondern vielmehr
treulich darvor warnet, das ihm selbst niemand
einen strick an hals lege. Solches, spricht er
[1. Cor. 7, 35], sage ich zu euerm besten, nicht
das ich euch einen strick an den hals werfe,
mit welchen worten er klerlich zu erkennen gibt,
das er niemand mit gebot oder gelübde dahin
verbinden wolle, sondern wil, das es zu jeder
zeit einem menschen frey stehen sol, also zu
leben oder sich zu verehelichen. Sobald aber das
gelübde geschehen, da hat ein mensch den
strick 19 am hals und an seinem gewissen, freien
darf er nicht, denn er hat sich durch das be-
schehen gelübde verbunden, und keuscheit
ausserhalb dem ehelichen stand zu halten, hat
er nicht, welche nicht darin allein stehet, das
ßv am leib unbefleckt bleibet, sondern das er
auch am geist heilig sey. Das ist ein strick,
den S. Paulus keinem menschen an den hals
werfen wil, sondern redet allein von einem
steifen fürnemen 20 on alles geloben oder ver-
heissen und stellet dasselbige doch allwegen
in den freien willen des menschen, das er zu
keiner zeit, weder durch gebot noch gelübde,
verbunden noch gezwungen sey, nicht zu freien.
Welcher gestalt aber den jungen kindern die-
ser strick an ihren hals geworfen, do sie noch
jung und unverstendig gewesen, und wohin sie
auch nachmals geraten sind, das ist mehr zu
beweinen denn zu reden 21, wie solches leider
15 a. R.: Welcher gestalt die christliche kloster-
gelübde verkeret worden.
17 a. R.: Verkerung des geliibdes der keuscheit.
18 a. R.: S. Paulus rhet nicht das gelübde der
ewigen jungfrauschaft.
19 a. R.: Gelübde der ewigen jungfrauschaft sind
ein strick des gewissens.
20 a.R.: Ein steif fiirnemen und ein gelübde
sind zweierley.
21 a. R.: Das gelübde der ewigen jungfrauschaft
hat grossen jamer gestiftet.
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und ganz geferlich was zu freien, das hat dem
lieben apostel niemals getreumet.
Derhalben ist anfanges wol zu merken, das
der klosterjungfrauenstand nicht ein besonderer
stand für sich selbst sey, das, wer sich in den-
selben begebe, Gott viel angenemer sein solte,
denn so er freiet, sondern ist, w Tie gehört, an-
fanges .anders nichts, denn ein schul und zucht-
stand gewesen, darin die jungfreulin zur furcht
Gottes und christlichen zucht gehalten, damit
sie nachmals in dem heiligen ehestande gleicher
gestalt auch kinder aufziehen könten, wie sie
durch Gottes gnade geleret und in der zucht
gehalten worden.
Zum andern, so viel die drey artickel belanget,
welche ein jede jungfrau geloben und ver-
sprechen müssen, nemlich den gehorsam, die
keuscheit und willige armut 15, sind dieselbige
auch durch den listigen betrug des leidigen
sathans verkeret 16 und in einen frembden, un-
rechten verstand gezogen worden.
Nemlich das die keuscheit 17 auf den jungfreu-
lichen stand allein gezogen, nicht anders, als
wenn der eheliche stand nicht auch ein keu-
scher, reiner, heiliger stand were, darin man
gleich so wol keuscheit, reinigkeit und heilig-
keit vor Gott halten kan, als in dem jung-
freulichen stande, ja, eben darumb, das etliche
die gabe der keuscheit im jungfreulichen stande
nicht haben, vermanet und gebeut S. Paulus,
das sie freien und im ehelichen stande keuscheit
halten sollen, da er also spricht [1. Cor. 7, 2]:
Umb der hurerey willen (verstehe, dieselbige
zu vermeiden) so habe ein jede ihren eigen man
15 Eine Ermahnung zu williger Armut, Keusch-
heit und Gehorsam enthielt schon die sog.
Regel Augustins für die Nonnen von Hippo,
vgl. Ep. 211; MSL 33, 958 ff. CSEL 57, 356 ff.
Wo in den Frauenklöstern die Benediktiner-
regel eingeführt wurde, wie dieses das
1. dtsche Nationalkonzil v. 742 befahl, muß-
ten die Nonnen in eben der Weise wie die
Mönche die Gelübde einschl. stabilitatis loci
ablegen, vgl. M. Heimbucher, a. a. O. Bd. I,
S. 166 und 304. Von den Kanonissen wurde
z. T. im 11. Jhdt. eine strengere Lebensweise
angenommen und die 3 feierlichen Gelübde
abgelegt, vgl. M. Heimbucher, a. a. O. S. 458.
und ein jeglicher sein eigen weib. Wie denn
der apostel 18 an diesem ort besonders behüt-
sam und fürsichtig ist und keinem menschen
rhet, das er keuscheit in ewiger jungfrauschaft
geloben oder verheissen sol, sondern vielmehr
treulich darvor warnet, das ihm selbst niemand
einen strick an hals lege. Solches, spricht er
[1. Cor. 7, 35], sage ich zu euerm besten, nicht
das ich euch einen strick an den hals werfe,
mit welchen worten er klerlich zu erkennen gibt,
das er niemand mit gebot oder gelübde dahin
verbinden wolle, sondern wil, das es zu jeder
zeit einem menschen frey stehen sol, also zu
leben oder sich zu verehelichen. Sobald aber das
gelübde geschehen, da hat ein mensch den
strick 19 am hals und an seinem gewissen, freien
darf er nicht, denn er hat sich durch das be-
schehen gelübde verbunden, und keuscheit
ausserhalb dem ehelichen stand zu halten, hat
er nicht, welche nicht darin allein stehet, das
ßv am leib unbefleckt bleibet, sondern das er
auch am geist heilig sey. Das ist ein strick,
den S. Paulus keinem menschen an den hals
werfen wil, sondern redet allein von einem
steifen fürnemen 20 on alles geloben oder ver-
heissen und stellet dasselbige doch allwegen
in den freien willen des menschen, das er zu
keiner zeit, weder durch gebot noch gelübde,
verbunden noch gezwungen sey, nicht zu freien.
Welcher gestalt aber den jungen kindern die-
ser strick an ihren hals geworfen, do sie noch
jung und unverstendig gewesen, und wohin sie
auch nachmals geraten sind, das ist mehr zu
beweinen denn zu reden 21, wie solches leider
15 a. R.: Welcher gestalt die christliche kloster-
gelübde verkeret worden.
17 a. R.: Verkerung des geliibdes der keuscheit.
18 a. R.: S. Paulus rhet nicht das gelübde der
ewigen jungfrauschaft.
19 a. R.: Gelübde der ewigen jungfrauschaft sind
ein strick des gewissens.
20 a.R.: Ein steif fiirnemen und ein gelübde
sind zweierley.
21 a. R.: Das gelübde der ewigen jungfrauschaft
hat grossen jamer gestiftet.
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