Wolfenbüttel
Dis ist nicht eine schlechte geringe sünde,
sondern eine erschreckliche abgötterey, damit
Gott zum allerhöchsten erzürnet wird.
Denn Gott hat in seinem wort ausdrücklich ge-
boten, das wir in allen unsern nöten niemand
denn allein ihn, anruffen sollen, wie geschrieben
stehet im psalmen [Psalm. 50, 15]: Ruff mich an,
spricht der Herr, im tag aeiner not, so wil ich
dich erhören, das du mich preisen solt. Und
Christus spricht [Matth. 4, 10]: Du solt Gott,
deinen Herrn, anruffen und ihm alleine dienen.
Und abermals spricht er [Matth. 11, 28]: Kompt
zu mir alle, die ihr beschweret und beladen seid,
ich wil euch erquicken. Dis ist der ernstliche
bevehl Gottes, das wir ihn allein anbeten und !
in allen unsern nöten unsere zuflucht zu ihm
haben sollen.
Do wir aber die abgestorbene heiligen anbeten
und anruffen 60, so berauben wir Gott seiner
ehre und legen sie einer creatur zu, welches eine
abgöttereysünde ist, die aus den abgestorbenen
menschen abgötter machet und unmüglich ist,
die abgestorbenen heiligen anzuruffen, man lege
ihnen denn göttliche ehre zu 61, die doch allein
Gott igehöret.
Denn do auf eine stunde die mutter Gottes
oder sonst ein heilige zu Jerusalem, zu Rom,
zu Venedig, zuParis, zu S. Jacob 62, zuAntorff 62a
und an allen andern örten angeruffen wird, so
mus folgen, das entweder die mutter Gottes und
die heiligen allenthalben gegenwertig sind, aller
derselben menschen gedanken wissen und hören,
oder aber die anruffung ist umbsonst, wenn
unser gebet die heiligen nicht hören solten.
L. Eisenhofer, a. a. O. Bd. II, S. 531, 547, 549.
Vgl. ferner die Anrufung der Heiligen nach
Verlesung des Martyrologiums in der Prim:
P. Vern. S. 21, P. Aestiv. S. 16, P. Autumn.
S. 16, P. Hiem. S. 18; dazu Eisenhofer, a. a. O.
Bd. II, S. 532 f und 534. — Seit dem frühen
Mittelalter hatte sich in den Klöstern auch
die Sitte herausgebildet, für die Toten neben
den gewöhnlichen Horen ein besonderes Offi-
cium zu lesen, das aus Vesper, Matutin und
Laudes bestand. Vgl. Eisenhofer, a. a. O.
Bd. II, S. 555 f. — Vgl. das Officium defunc-
torum mit den verschiedenen Horen im Rit.
Rom. P. I, Tit. VI, Cap. IV, S. 202 ff.
Dis ist aber ein stück der majestet Gottes 63,
die niemand denn Gott zugehöret, nemlich, das
er an allen örten ist, alles sihet, höret und weis,
dem nichtes verborgen ist, der das herz er-
forschet und die nieren prüfet und die inner-
lichen seufzen anschauet und unter allen men-
schen allein des menschen Son 64, unserm Herrn
Jhesu Christo, mitgeteilet, weil Gott und mensch
in Christo eine person [Joh. 17. 10 f. 21 f.] und
er nach seiner menscheit zur rechten der all-
mechtigen kraft Gottes gesetzt [Act. 1, 9 ff.].
Darumb kan er allein sagen [Matt. 18, 20]: Wo
zween in meinem narnen versamlet sind, bin
ich mitten unter ihnen. Item [Matt. 28, 20]: Ich bin
bey euch bis an das ende der welt, welches
S. Petrus, S. Paulus, noch einiger heilige nicht
sagen mögen. Darumb wer einem heiligen diese
ehre zulegt, der machet aus ihm einen Gott,
er sage, was er wolle, und begehet mit seiner
anruffung eine abgötterey.
Das aber die abgestorbene heiligen 65 nicht
wissen, was wir auf erden thun, und demnach
auch umbsonst (wenn es gleich nicht sünde were)
angeruffen werden, bezeuget der prophet Esaias
mit deutlichen und offenbaren worten [Esa. 64 -
Jes 63, 16]: Bistu doch unser Vater, denn Abra-
ham weis von uns nichts, und Israel kennet uns
nicht. Du aber, Herr, bist unserVater und unser
erlöser, von alters her ist das dein name. Und
wil der prophet im namen des betrübten volks
so viel sagen: zu wem solten wir in unser not
laufen? Wenn Abraham und Jacob noch lebe-
ten, so wolten wir die anstellen, das sie für
uns beten, die bey ihren lebzeiten viel durch
60 a. R.: Was die anruffung aer heiligen für
eine sünde sey.
61 a. R.: Den heiligen wird göttliche ehr zu-
gelegt.
62 Santiago de Compostela in Spanien mit dem
angeblichen Grab d. Apostels Jakobus Zebed.,
berühmter Wallfahrstort.
62 a = Antwerpen.
63 a. R.: An allen örten sein, gehöret der gött-
lichen majestet zu.
64 a. R.: Allein der mensch Christus sihet, höret
alles und sonst kein abgestorbener mensch.
65 a. R.: Die heiligen hören unser gebet nicht.
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Dis ist nicht eine schlechte geringe sünde,
sondern eine erschreckliche abgötterey, damit
Gott zum allerhöchsten erzürnet wird.
Denn Gott hat in seinem wort ausdrücklich ge-
boten, das wir in allen unsern nöten niemand
denn allein ihn, anruffen sollen, wie geschrieben
stehet im psalmen [Psalm. 50, 15]: Ruff mich an,
spricht der Herr, im tag aeiner not, so wil ich
dich erhören, das du mich preisen solt. Und
Christus spricht [Matth. 4, 10]: Du solt Gott,
deinen Herrn, anruffen und ihm alleine dienen.
Und abermals spricht er [Matth. 11, 28]: Kompt
zu mir alle, die ihr beschweret und beladen seid,
ich wil euch erquicken. Dis ist der ernstliche
bevehl Gottes, das wir ihn allein anbeten und !
in allen unsern nöten unsere zuflucht zu ihm
haben sollen.
Do wir aber die abgestorbene heiligen anbeten
und anruffen 60, so berauben wir Gott seiner
ehre und legen sie einer creatur zu, welches eine
abgöttereysünde ist, die aus den abgestorbenen
menschen abgötter machet und unmüglich ist,
die abgestorbenen heiligen anzuruffen, man lege
ihnen denn göttliche ehre zu 61, die doch allein
Gott igehöret.
Denn do auf eine stunde die mutter Gottes
oder sonst ein heilige zu Jerusalem, zu Rom,
zu Venedig, zuParis, zu S. Jacob 62, zuAntorff 62a
und an allen andern örten angeruffen wird, so
mus folgen, das entweder die mutter Gottes und
die heiligen allenthalben gegenwertig sind, aller
derselben menschen gedanken wissen und hören,
oder aber die anruffung ist umbsonst, wenn
unser gebet die heiligen nicht hören solten.
L. Eisenhofer, a. a. O. Bd. II, S. 531, 547, 549.
Vgl. ferner die Anrufung der Heiligen nach
Verlesung des Martyrologiums in der Prim:
P. Vern. S. 21, P. Aestiv. S. 16, P. Autumn.
S. 16, P. Hiem. S. 18; dazu Eisenhofer, a. a. O.
Bd. II, S. 532 f und 534. — Seit dem frühen
Mittelalter hatte sich in den Klöstern auch
die Sitte herausgebildet, für die Toten neben
den gewöhnlichen Horen ein besonderes Offi-
cium zu lesen, das aus Vesper, Matutin und
Laudes bestand. Vgl. Eisenhofer, a. a. O.
Bd. II, S. 555 f. — Vgl. das Officium defunc-
torum mit den verschiedenen Horen im Rit.
Rom. P. I, Tit. VI, Cap. IV, S. 202 ff.
Dis ist aber ein stück der majestet Gottes 63,
die niemand denn Gott zugehöret, nemlich, das
er an allen örten ist, alles sihet, höret und weis,
dem nichtes verborgen ist, der das herz er-
forschet und die nieren prüfet und die inner-
lichen seufzen anschauet und unter allen men-
schen allein des menschen Son 64, unserm Herrn
Jhesu Christo, mitgeteilet, weil Gott und mensch
in Christo eine person [Joh. 17. 10 f. 21 f.] und
er nach seiner menscheit zur rechten der all-
mechtigen kraft Gottes gesetzt [Act. 1, 9 ff.].
Darumb kan er allein sagen [Matt. 18, 20]: Wo
zween in meinem narnen versamlet sind, bin
ich mitten unter ihnen. Item [Matt. 28, 20]: Ich bin
bey euch bis an das ende der welt, welches
S. Petrus, S. Paulus, noch einiger heilige nicht
sagen mögen. Darumb wer einem heiligen diese
ehre zulegt, der machet aus ihm einen Gott,
er sage, was er wolle, und begehet mit seiner
anruffung eine abgötterey.
Das aber die abgestorbene heiligen 65 nicht
wissen, was wir auf erden thun, und demnach
auch umbsonst (wenn es gleich nicht sünde were)
angeruffen werden, bezeuget der prophet Esaias
mit deutlichen und offenbaren worten [Esa. 64 -
Jes 63, 16]: Bistu doch unser Vater, denn Abra-
ham weis von uns nichts, und Israel kennet uns
nicht. Du aber, Herr, bist unserVater und unser
erlöser, von alters her ist das dein name. Und
wil der prophet im namen des betrübten volks
so viel sagen: zu wem solten wir in unser not
laufen? Wenn Abraham und Jacob noch lebe-
ten, so wolten wir die anstellen, das sie für
uns beten, die bey ihren lebzeiten viel durch
60 a. R.: Was die anruffung aer heiligen für
eine sünde sey.
61 a. R.: Den heiligen wird göttliche ehr zu-
gelegt.
62 Santiago de Compostela in Spanien mit dem
angeblichen Grab d. Apostels Jakobus Zebed.,
berühmter Wallfahrstort.
62 a = Antwerpen.
63 a. R.: An allen örten sein, gehöret der gött-
lichen majestet zu.
64 a. R.: Allein der mensch Christus sihet, höret
alles und sonst kein abgestorbener mensch.
65 a. R.: Die heiligen hören unser gebet nicht.
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