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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band = Niedersachsen, 1. Hälfte, 1. Halbband): Die Fürstentümer Wolfenbüttel und Lüneburg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1955

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https://doi.org/10.11588/diglit.30040#0346
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Wolfenbüttel

memes lebens nimermehr komen, damit ich
felschlich verwenet worden bin, als solt ich
besser und Gott viel angenemer sein denn eine
andere jungfrau, so nicht dergleichen gekrönet
und eingekleidet gewesen und vermeinet, ich
sey geistlich, jene sein weltlich. So befinde ich
aber, das die jungfrauen, die man weltlich
nennet, allzumal geistlich und königstöchter
sind, dem Herrn Christo vermehlet, und da sie
gleich freyen, noch als reine jungfrauen dem
Herrn Christo vermehlet und vertrauet bleiben.

Dieweil ich denn nicht anderst gedenken kan
(ich sage gleich, was ich wolle, das ich meine
seligkeit auf meine kappen nicht setze), das
wer mich sihet in dieser kappen, schepler, weih-
ler 55, subtil etc. umbgehen, als ob ich etwas
bessers und geistlichers sein wolle denn andere
frome, gottselige jungfrauen und eheweiber, so
wil ich im namen des allmechtigen Gottes meine
kappen, schepler und eusserliche kron von mir
legen, auf das meniglich sehen und in dem werk
spüren möge, das mirs ernst sey, das ich keine
hoffenung der seligkeit darauf gesetzt und solch
kleid anderst nicht denn ein ander kleid in
meinem herzen halte, welches doch viel anderst
ist getauft oder geweihet worden.

Und wil in diesem stück dem exempel des
h. Pauli nachfolgen, der geschrieben hat [1. Cor. 8,
13]: Wenn die speise meinen bruder ergert, wolt
ich nimermer fleisch essen, auf das ich meinen
bruder nicht ergerte. Also, weil ich verneme,
das meine schwestern, die jungfrauen und ehe-
weiber, sich an unsern kappen ergern 56, als
solten wir noch ein vertrauen der seligkeit und
besonderer geistligkeit darein setzen; wil ich
nimermehr die kappen tragen, sondern mich
in eine erbare jungfreuliche kleidung begeben,
darob sich niemand zu ergern hab. Denn es ist
eine erschreckliche drauung, die Christus des
ergernis halben gedrauet hat [Matth. 18, 6 f.]:
Wehe der welt der ergernis halben! Wer ergert

55 S. 309, Anm. 36 u. 37.

56 a. R.: Die kappen als ein ergerlich kleid hin-
zulegen.

der geringsten einen, so an Christum gleuben,
dem were besser, das ein mülstein an seinen
hals gehenkt würde und erseuft würde im meer,
da es am tiefsten ist.

Nun ist es unmüglich, das solche kleider 57
on ergernis unter dem einfeltigen volk können
getragen werden. Denn da es die leut sehen
und fragen: Warumb tragen diese jungfrauen
solche kron, subtil, schepler und kappen?, und
man sagt ihnen: Es sind geistliche und nicht
weltliche jungfrauen, wie solte ein jung mensch
nicht geergert und in ihm diese gedanken nicht
erweckt werden, das er gedechte alsbald: Bist
denn du nicht eine geistliche jungfrau? Bistu
nicht auch eine braut unsers Herrn Christi?
Wirstu nicht auch im himel so herrlich ge-
krönet als sie? Sonderlich aber wird erst die
anfechtung stark angehen, wenn sie hören aus
dem evangelio predigen, das Christus gesagt hat,
er bitte nicht für die welt [Joh. 17, 9]. Und
abermals spricht er [Joh. 15, 19]: Weret ihr
von der welt, so hette die welt das ihre lieb.
Dieweil ihr aber nicht von der welt seid, son-
dern ich habe euch von der welt erwehlet,
darumb hasset euch die welt. Da möcht eine
frome jungfrau oder eheweib gedenken: Bistu
nicht geistlich, so bistu weltlich, bistu denn
weltlich, so hat Christus für dich nicht gebeten,
er hat dich nicht erwehlet, wie wiltu denn
selig werden? Diese anfechtung und ergernis
ist bey etlichen leuten so gros worden, das
eheleut 58 hohes und nider standes sich gut-
willig von einander gescheiden, der man in ein
manskloster und das weib in ein jungfrauen-
kloster gangen, das sie auch möchten selig
werden. Haben also den stand verlassen, den
Gott im paradis gestiftet hat [Gen. 3 = Gen 2,
21—24] und sich in einen stand begeben, der
nicht von Gott eingesetzt, sondern allein von
den menschen aus menschlicher andacht ge-
stiftet worden. Ist aber das nicht eine grosse

57 a. R.: Die kappen können nicht ohn ergernis
getragen werden.

58 a. R.: Eheleut haben sich willig von einander
gescheiden und in die klöster gangen.

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