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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band = Niedersachsen, 1. Hälfte, 1. Halbband): Die Fürstentümer Wolfenbüttel und Lüneburg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1955

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https://doi.org/10.11588/diglit.30040#0504
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(2) eit 1478 regierte im lüneburgischen Teil des Herzogtums Braunschweig-Lüneburg
Heinrich der Mittlere. Als im Verlauf der Hildesheimer Stiftsfehde der Kaiser die Reichs-
acht über ihn verhängte, verzichtete er auf die Regierung zugunsten seiner Söhne Otto (geb.
1495) und Ernst (geb. 1497). Ernst (,,der Bekenner“) übernahm die Führung der Regierungs-
geschäfte, Otto ließ sich 1527 mit dem Gebiet Harburg abfinden, begründete hier eine bis
1642 bestehende, selbständige Linie. Ein jüngerer Bruder Franz (geb. 1508) nahm seit 1536
an der Regierung teil, wurde aber 1539 mit dem Gebiet Gifhorn und Isenhagen abgefunden.
Mit seinem Tode 1549 fielen diese Teile an das Stammhaus zurück. Als Herzog Ernst 1546
starb, mußte für seine unmündigen Söhne eine Vormundschaftsregierung eingesetzt werden.
Der älteste, Franz Otto, führte seit 1555 namens seiner Brüder die Leitung des Landes, starb
aber bereits vier Jahre später. So nahmen seine beiden Brüder Wilhelm und Heinrich seitl559
gemeinsam die Regierungsgeschäfte wahr. 1569 ließ sich Heinrich mit dem Gebiet Dannenberg
abfinden und gründete hier eine Linie, die 1635 den Wolfenbütteler Zweig beerbte. Auf Wil-
helm, genannt der Jüngere, folgte 1591 sein Sohn Ernst II. (gest. 1611).

Herzog Ernst der Bekenner führte in seinem Fürstentum die Reformation ein. In seiner
Residenzstadt Celle machten sich seit 1524 evangelische Regungen bemerkbar, die vom Herzog
zunächst geduldet, dann unterstützt wurden. Seit 1526 bekannte er sich selbst offen zur evan-
gelischen Sache (vgl. Wrede, S. 55 ff.). 1527 beauftragte er seine Prediger zu Celle, die Miß-
bräuche zusammenzustellen. die sich bei den Pfarren im Fürstentume Lüneburgvorfänden.Am
3. Juli 1527 überreichten die „verordneten Prediger zu Celle“ dem Herzog ihre Schrift: „Ar-
tikel, darinne etlike mysbruke by den parren des förstendoms Lüneborg entdecket unde dar-
jegen gude ordenynge angegeven werden mit bewysinge und vorklarynge der schrift“ (vgl.
W r e de , S. 79, zu ihrem Inhalt U hlh o r n , KOO, S. 140 ff„ T s ch ack e r t, S. 574, Rich-
terl, S. 70 ff„ Petri, Agende, S. 4 ff„ teilweiser Abdruck bei Uhlhorn, Richter und
P etri).

Dieses sog. „Artikelbuch“ wurde noch im August desselben Jahres auf einem Landtage (Ort
nicht bekannt) den Ständen zur Annahme vorgelegt, die es jedoch ablehnten. Trotzdem brachte
der Herzog es zum Druck und hat es für sein danach einsetzendes Reformationswerk auch
imrner als Richtschnur hingestellt (vgl. Wrede, S. 85). Text Nr. 1.

Indessen kam es auf dem gleichen Landtag 1527, an dem die Stände das „Artikelbuch“
ablehnten, zu dem Beschluß, in den Stiftern, Klöstern und Pfarren des Fürstentums „das
evangelium lauter und rein und ohne menschlichen zusatz verkündigen und den befohlen see-
len predigen“ zu lassen (vgl. Wrede, S. 83, J acobi, S. 145). Ferner behielt sich der Herzog
laut der der Landschcift erteilten Verschreibung vom 17.August 1527 vor, in den ihm sowohl
wie „ausländischen Herren“ unterstellten Kirchen — die Bischöfe von Verden, Minden und
Hildesheim beanspruchten Patronatsrecht an zahlreichen Kirchen des Landes (vgl. Wrede,
S. 27 f„ 85) — nach eigenem Ermessen Zeremonien und Predigten einzurichten. Damit hatte
sich Ernst die Möglichkeit verscliafft, sofort in einer ganzen Reihe von Kirchen des Fürsten-
tums das Patronat in eigene Hand zu nehmen, soweit er es nicht bereits besaß. 1m Sommer
1529 wurde in den vom Herzog abhängigen Pfarren die Reformation durchgeführt. Sein wei-
teres Reformationswerk stand in engem Zusammenhang mit dem Erfolg seiner Bemühungen,
die verpfändeten fürstlichen Ämter wieder in landesherrliche Verwaltung zu bekommen (vgl.
Krieg, Amtsverfassung, S. 51 f.). Eine Untersuchung hierzu fehlt noch. Daß sich der
Herzog aber nicht restlos durchsetzen konnte, verdeutlichen die Visitationsberichte von 1543
(vgl. Knoop, S. 206, 209).

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