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Wolgast, Eike [Hrsg.]; Seebaß, Gottfried [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]; Kirchenrechtliches Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland [Hrsg.]; Sehling, Emil [Begr.]
Die evangelischen Kirchenordnungen des XVI. Jahrhunderts (6. Band = Niedersachsen, 1. Hälfte, 1. Halbband): Die Fürstentümer Wolfenbüttel und Lüneburg mit den Städten Braunschweig und Lüneburg — Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1955

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https://doi.org/10.11588/diglit.30040#0700
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Lüneburg

nicht in sunden vorzweifeln mussen und uns
also damit auf der rechten mittelstrasse zwis-
schen vormessenheit und vorzagen in rechter
demuth und zuvorsicht erhalten wollen, auf das
wir ja auf allen seiten reichlich vorsorget weh-
ren, in summa, es mussen die beide schlussel
beyeinander bleiben und nicht voneinander ge-
trennet werden, muß auch der eine so groß sein
als der ander und muß nicht der eine im ge-
brauch und ubunge gehen und gleissen und der
ander mussig ligen, vorrosten und vorderben,
sondern mussen alle beide zugleich im gebrauche
sein, wo es anders recht soll in der kirchen
Gottes zugehen.

Zum vierten umb der grossen nottwendigkeit
willen, die solches zu jeder zeit zum hohsten
erfurdert, als wir sehen, das gewisser disciplin
auch keine creatur entraten oder ohne dieselben
sein kan, wie der Augustinus in libro De bono
disciplinae cap. 2 8 sagt: Nemo disciplinam
irrationabilem putet, sub qua videt universis
quae sub coelo sunt verbo cooperante compo-
sitis omnipotentis Dei stare consilium, in prin-
cipio [e]n[im] operis sui Deus nihil prius quam
disciplinam fecit, nam cum assistente sapientia
coelum suspenderet, terram pararet, maria con-
cluderet et suis locis suisque temporibus cur-
sum solis lunaeque globum disponeret, omnia
sub disciplina constituit, quid autem non esset
tenebrosum? quid non incompositum? quid non
haberetur absurdum? nisi constitutis legibus
cuncta starent elementa? Nunquid sine disciplina
'agitur solis cursus, qui quamvis diurni itineris
necessitatem infatigatus impleverit, ad offitium
tamen suum matutinus occurrit et se in parte
coeli quotidie terrarum spatia lustraturus os ten-
dit. Tanta est disciplinae ratio, ut intra tempo-
rum metas lege conscriptas ita indefessi itineris
alternis vicibus svderum cursus agitetur, ut nec
luna defectionis suae damna effugiat, nec so-
lem diurni luminis flamma destituat. Nunquid
sine disciplina est, quod tanti maris fluctus

8 Pseudo-Augustin (Valerian v. Cemele), Sermo

de bono disciplinae, 2; MSL 40, 1219. MSL 52,
691 f.

humili terrarum littore continentur et in suo
sinu frequenter incitata ventis, altior aggere
unda concluditur? Omnia profecto insipiens na-
tura confunderet, nisi mundum disciplinae ratio
gubemaret. Haec ideo proposuimus dicere, ut
disceretis obedire evangelicis praeoeptis et coe-
lestibus obtemperare mandatis. Dan so die dis-
ciplin solchen unvornunftigen creaturen Gottes,
welche sich dem willen und befhelich Gottes
sunst gerne gleichformich machen, vonnöten, wie-
viel mehr ist sie den menschen vonnöten, welche
von dem teufel vorfuhret und durch die sunde
vorderbet, sich demselben in allen wider-
spenstig machen, wie da geschrieben stehet
Rom. 7 [23]: Video aliam legem in membris meis
repugnantem legi mentis meae etc. Dan wir
lernens nicht alleine aus Gottes worte, sondern
befindens auch aus der teglichen erfharung, das
des menschen herze dermassen vorkeret und
böse ist, wo es nicht sub certa quadam disci-
plina gehalten wird, das der meiste haufe als-
dan aus dem heiligen evangelio nur einen lau-
tern eigenen willen, aus der geistlichen eine
fleischliche freyheit machet, wie jenner bey den
Corinthern [1. K 5] aus fleischlicher freyheit
seine eigene stiefmutter zur ehe genommen und
also die grosse gnade Gottes (wie der liebe apo-
stel Judas in seiner epistel [4] daruber klaget)
in einen grossen muttwillen vorwandelt, und wie
leider jetzunt augenscheinlich zu besehen ist,
aus einer sunde in die ander, aus einem frevel
und muttwillen in den andern fallen, und nhemen
alle schande und gotteslesterung dermassen die
ubernhand, das zuletzt kein hulf oder rath ist,
wie der Augustinus in dem vorangezeigten orte 9
sagt: Quid adultero castum? quid furi esset tu-
tum? quid latroni, non pervium? quis non expaves-
ceret concava littorum? secreta sylvarum? quid
non praesumptio possideret? nisi furorem ani-
morum sub moetu poenae disciplina compes-
oeret. Ac nisi constitutus esset ordo vivendi, nun-
quam profecto finem poneret natura peccandi.

9 Sermo de bono disciplinae, 3; MSL 40, 1219.

MSL 52, 693.

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