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SITZUNGEN
ligungen, beispielsweise durch gesundheitsschädigendes Verhalten der Mütter, durch
mangelnde sozio-emotionale Betreuung in der frühen Eltern-Kind-Beziehung und
durch materielle Notlagen. Auswirkungen einer gesteigerten Vulnerabilität von Kin-
dern aus sozial benachteiligten Schichten auf Morbidität und Mortalität zeigen sich
teilweise Jahre (erhöhte Depressions- und Suizidraten in der Adoleszenz), teilweise
erst Jahrzehnte später (erhöhte Stoffwechsel- und Herzkreislaufkrankheiten im mitt-
leren Erwachsenenalter).
Jedoch erst mit wissenschaftlichen Fortschritten bei der Erfassung chronischer
Belastungen in den zentralen sozialen Rollen des Erwachsenendaseins, insbesondere
der Berufsrolle, ist es gelungen, den sozialen Schichtgradienten von Morbidität und
Mortalität weiter aufzuklären.
Im Zentrum des Studiums schichtspezifischer Morbidität der erwerbstätigen
Bevölkerung stehen bestimmte psychosoziale Belastungen (‘Stressbelastungen’), die
in der modernen Arbeitswelt einen immer größeren Stellenwert einnehmen.
Anhand zweier theoretischer Modelle ist gezeigt worden, dass Dauerstress im
Erwerbsleben ebenfalls nach sozialer Schichtzugehörigkeit variiert bzw. bei
Angehörigen weniger qualifizierter Berufsgruppen intensivere Wirkungen auf die
Gesundheit entfaltet. Dies wird ersichtlich, wenn psychosoziale Belastungen in Form
typischer Aufgabenprofile erfasst werden, wie dies im sog. Anforderungs-Kontroll-
Modell der Fall ist: erst die Kombination von hohen Anforderungen (z. B. Zeitdruck)
und geringem Kontroll- und Entscheidungsspielraum ruft bei den Arbeitenden häu-
fig wiederkehrende physiologische Stressreaktionen hervor, welche längerfristig die
physische und psychische Gesundheit beeinträchtigen. Gleiches gilt für ein zweites
Modell psychosozialer Arbeitsbelastungen, das zur Erklärung des sozialen Schicht-
gradienten beiträgt, das Modell beruflicher Gratifikationskrisen. Hier wird beruf-
licher Dauerstress als Folge eines Ungleichgewichts zwischen hohen Verausgabungs-
leistungen bei der Arbeit und nicht angemessenen Belohnungen postuliert, wobei
Gratifikationen neben Bezahlung auch Aufstieg, Arbeitsplatzsicherheit sowie Wert-
schätzung und Anerkennung umfassen. Für beide Modelle ist in mehreren epide-
miologischen Studien nachgewiesen worden, dass die auf diese Weise identifizierte
Arbeitsbelastung zu einer Verdoppelung des Risikos führt, an Herz-Kreislauf-Erkran-
kungen sowie an depressiven Störungen frühzeitig zu erkranken oder zu versterben.
Muss soziale Ungleichheit der Chancen angesichts von Krankheit und frühem
Tod als unveränderliches Faktum hingenommen werden, oder gibt es einen ethi-
schen Imperativ, diese Ungleichheit zu verringern? Aus Sicht des Gerechtigkeits-
theoretikers John Rawls erscheint es angezeigt, anhand sozial- und gesundheitspoli-
tischer Maßnahmen Ressourcen disproportional an diejenigen Gruppen der Bevöl-
kerung zu verteilen, die von der Ungleichheit am stärksten betroffen sind. Chancen
und Grenzen dieses Ansatzes werden im Vortrag abschließend diskutiert.
Eine Langfassung des Vortrags erscheint im Rahmen der Schriftenreihe der Heidel-
berger Akademie der Wissenschaften.
SITZUNGEN
ligungen, beispielsweise durch gesundheitsschädigendes Verhalten der Mütter, durch
mangelnde sozio-emotionale Betreuung in der frühen Eltern-Kind-Beziehung und
durch materielle Notlagen. Auswirkungen einer gesteigerten Vulnerabilität von Kin-
dern aus sozial benachteiligten Schichten auf Morbidität und Mortalität zeigen sich
teilweise Jahre (erhöhte Depressions- und Suizidraten in der Adoleszenz), teilweise
erst Jahrzehnte später (erhöhte Stoffwechsel- und Herzkreislaufkrankheiten im mitt-
leren Erwachsenenalter).
Jedoch erst mit wissenschaftlichen Fortschritten bei der Erfassung chronischer
Belastungen in den zentralen sozialen Rollen des Erwachsenendaseins, insbesondere
der Berufsrolle, ist es gelungen, den sozialen Schichtgradienten von Morbidität und
Mortalität weiter aufzuklären.
Im Zentrum des Studiums schichtspezifischer Morbidität der erwerbstätigen
Bevölkerung stehen bestimmte psychosoziale Belastungen (‘Stressbelastungen’), die
in der modernen Arbeitswelt einen immer größeren Stellenwert einnehmen.
Anhand zweier theoretischer Modelle ist gezeigt worden, dass Dauerstress im
Erwerbsleben ebenfalls nach sozialer Schichtzugehörigkeit variiert bzw. bei
Angehörigen weniger qualifizierter Berufsgruppen intensivere Wirkungen auf die
Gesundheit entfaltet. Dies wird ersichtlich, wenn psychosoziale Belastungen in Form
typischer Aufgabenprofile erfasst werden, wie dies im sog. Anforderungs-Kontroll-
Modell der Fall ist: erst die Kombination von hohen Anforderungen (z. B. Zeitdruck)
und geringem Kontroll- und Entscheidungsspielraum ruft bei den Arbeitenden häu-
fig wiederkehrende physiologische Stressreaktionen hervor, welche längerfristig die
physische und psychische Gesundheit beeinträchtigen. Gleiches gilt für ein zweites
Modell psychosozialer Arbeitsbelastungen, das zur Erklärung des sozialen Schicht-
gradienten beiträgt, das Modell beruflicher Gratifikationskrisen. Hier wird beruf-
licher Dauerstress als Folge eines Ungleichgewichts zwischen hohen Verausgabungs-
leistungen bei der Arbeit und nicht angemessenen Belohnungen postuliert, wobei
Gratifikationen neben Bezahlung auch Aufstieg, Arbeitsplatzsicherheit sowie Wert-
schätzung und Anerkennung umfassen. Für beide Modelle ist in mehreren epide-
miologischen Studien nachgewiesen worden, dass die auf diese Weise identifizierte
Arbeitsbelastung zu einer Verdoppelung des Risikos führt, an Herz-Kreislauf-Erkran-
kungen sowie an depressiven Störungen frühzeitig zu erkranken oder zu versterben.
Muss soziale Ungleichheit der Chancen angesichts von Krankheit und frühem
Tod als unveränderliches Faktum hingenommen werden, oder gibt es einen ethi-
schen Imperativ, diese Ungleichheit zu verringern? Aus Sicht des Gerechtigkeits-
theoretikers John Rawls erscheint es angezeigt, anhand sozial- und gesundheitspoli-
tischer Maßnahmen Ressourcen disproportional an diejenigen Gruppen der Bevöl-
kerung zu verteilen, die von der Ungleichheit am stärksten betroffen sind. Chancen
und Grenzen dieses Ansatzes werden im Vortrag abschließend diskutiert.
Eine Langfassung des Vortrags erscheint im Rahmen der Schriftenreihe der Heidel-
berger Akademie der Wissenschaften.