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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2006
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Antrittsreden
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Wetterich, Christof: Antrittsrede vom 10. Juni 2006
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https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0117
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Christof Wetterich

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Dieses Beispiel zeigt Ihnen das große Dilemma auf dem Gebiet der Verein-
heitlichung. Es gibt eine Menge hochinteressanter Ideen, aber fast nie klärende
Beobachtungen. In einer solchen Situation öffnet sich die Tür für soziologische Strö-
mungen. Die Grundfrage: „Was ist wahr, was ist falsch?“ gerät aus dem Visier, da es
keine Möglichkeiten zur Beantwortung gibt. Ich sehe diese Entwicklung durchaus
mit einer gewissen Sorge, denn ich halte nichts von Vorstellungen, auch Naturgesetze
seien „eine Frage des Zeitgeists“.
Wenn man die Fragen richtig formuliert, mit entsprechenden Einschränkun-
gen des Anwendungsgebiets, so gibt es oft ein klares: „ Das ist falsch!“ und auch: „Das
ist richtig!“. Niemand wird die Newton’schen Gesetze in ihrem Gültigkeitsbereich
umwerfen, niemand die Einstein’sche Relativitätstheorie. Und der Gültigkeitsbereich
dieser Theorien ist riesig. Nur wenn man die Dinge nicht klären kann, und das ist
natürlicherweise an den Grenzen der Erkenntnis oft so, dann spielen „Ideenge-
schichte“ und „Soziologie“ eine wichtige Rolle. Hier wird dann oft die Grenze zwi-
schen Physik und Metaphysik verwischt.
Wenn man den harten, aber gerechten Maßstab „wahr oder falsch“ an die
Versuche zur Vereinheitlichung der Wechselwirkungen anlegt und die Chancen auf
Erfolg beurteilt, würde ein vernünftiger Mensch wohl sagen: „Chancen eher recht
gering“. Auch Einstein hat es ja versucht, übrigens auch damals schon mit fünf
Dimensionen. Aber heute würde jeder sofort denken: natürlich chancenlos mit dem
damaligen Wissen, er kannte ja nur zwei der vier Wechselwirkungen, die zu verein-
heitlichen sind, nur Elektromagnetismus und Gravitation, keine schwache und
starke Wechselwirkung. Sind wir heute besser dran? Ich weiß es nicht. Aber dennoch
kann ich nicht davon lassen, es hat mich einfach gepackt - daher die Diagnose:
„moderat krankhafte Wahnvorstellung“.
Wie auch immer: mit manchen Krankheiten lässt es sich ja ganz gut leben. Es
macht mir einfach Spaß, über diese grundlegenden Dinge zu grübeln, dies ist sozu-
sagen mein Hobby. Zu den Dingen, die ich mit am liebsten habe, gehört es, an einem
schönen Ort dieser Welt zu sitzen, ausgerüstet mit Papier und Kugelschreiber, eine
gute Rechnung durchzuführen oder die verschiedenen Möglichkeiten einer Idee im
Kopf abzuwägen. Dabei ist „schöner Ort“ durchaus wichtig. Das kann ein Strand
sein, ein Balkon mit Rosen, ein Sonnenplatz vor einer winterlichen Berghütte... Mit
unserem Institut am Philosophenweg bin ich da ja glücklicherweise gut bedient.
Aber umgekehrt gibt es bei mir auch keinen Urlaub ohne eine minimale Physikba-
gage. Das nenne ich dann meine „Ferienphysik“, und die ist nicht nur für Regenta-
ge. Dabei suche ich mir die unausgereiften und für mich besonders spannende Ideen
aus. Kurz und gut, ich bin vielleicht ein bisschen ein Träumer, und ich habe das große
Glück in meinem Leben, meinen Träumen nachhängen zu können. Immer mit der
Gefahr, dass man sich ein bisschen zu sehr in die Physik vergräbt - zum Glück agie-
ren meine Frau und meine Abenteuerlust, auch meine Freude an anderen schönen
Dingen dagegen.
Natürlich versuche ich, der Gesellschaft, die mir diese große intellektuelle Frei-
heit gestattet und mich auch materiell absichert, etwas zurückzugeben. Da ich für
den Erfolg meiner theoretischen Überlegungen ja nicht garantieren kann, sind dies
 
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