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ANTRITTSREDEN
der Musikwissenschaft oder der Ostasiatischen Philologien und der Bedrohung
mehrerer Professuren auch meines eigenen Fachgebiets betrieb, ließ mich nach
Alternativen Ausschau halten, die, von Göttingen her gesehen, freilich nicht irgend-
wo liegen konnten: Als sich 2004 die Chance bot, nach Freiburg (und dort auf
den zuvor von Gerhard Neumann und Jochen Schmidt bekleideten Lehrstuhl für
Neuere deutsche Literatur in komparatistischer Perspektive) zu wechseln, entschloß
ich mich zu diesem Schritt ... und habe ihn keinen Moment lang bereut: Ich habe
in Freiburg ein in den literatur- und kulturwissenschaftlichen Fächern überaus auf-
geschlossenes und möglichkeitsreiches Ambiente angetroffen, in dem sich produktiv
wird arbeiten lassen. Und mit meiner Aufnahme in die Heidelberger Akademie
haben Sie endgültig die eine empfindliche Lücke geschlossen, die der Weggang aus
Göttingen aufgerissen hatte.
Wenn ich mich für die Zwecke einer ersten Vorstellung in meinem heutigen
fachlichen Profil kurz charakterisieren sollte, so würde ich sagen: Ich bin ein histo-
risch-hermeneutisch trainierter, aber für andere theoretische und methodische
Ansätze offener Literaturwissenschaftler mit germanistischem Standbein und
europäisch-komparatistischem Spielbein. Meine derzeit intensivsten Interessen gel-
ten Fragen der kulturellen longue duree und der Dynamik des literarischen Prozesses
zwischen Tradierung und Transformation; historisch faszinieren mich neben solchen
„kulturellen Strategien der Dauer“ (Aleida Assmann) vor allem die klassisch-roman-
tische Großepoche der deutschen Literatur in der staunenswert produktiven Sattel-
zeit um und nach 1800 und die Ara der klassischen Moderne in der Gesamtheit ihrer
komparatistischen und intermedialen Bezüge. Drei Jahrzehnte der akademischen
Formierung haben mir mein Staunen über und meine Begeisterung für das, was
Sprache in literarisch verdichteten, kunstvoll komplex gestalteten Texten mitunter
vermag, nicht völlig austreiben können, und noch immer suche ich nach zureichen-
den Mitteln, um dieses primäre Staunen auf klare und nachvollziehbare Weise aus-
zudrücken. Dabei interessiere ich mich besonders für alle Arten von Wechselspielen,
die mein Leitmedium, die Literatur, mit anderen Sprachen, Symbolsystemen, Weisen
der Welterzeugung unterhält, seien dies nun die anderen Künste (die traditionellen
wie die neuen), seien es andere diskursive Formationen in Philosophie, im Ensem-
ble der Wissenschaften, im Gesamtzusammenhang der Kultur. Aus diesem Grund
halte ich auch die im Hinblick auf das Forschungsprogramm der Literaturwissen-
schaft gelegentlich aufgestellte Alternative zwischen „Philologisierung“ oder „Re-
Philologisierung“ einerseits und „kulturwissenschaftlicher Erweiterung“ andererseits
für falsch gestellt. Mir scheint ganz umgekehrt, daß sich die Eigenleistung, die sozia-
le Erkenntnisfunktion und nicht zuletzt auch das ästhetische proprium der Literatur,
an dem ich entschieden festhalten möchte, umso deutlicher erschließen werden,je
intensiver wir literarische Texte mit der Vielzahl ihrer möglichen Kontexte konfron-
tieren und ins Gespräch bringen.
Nicht zuletzt aus diesem Grund freue ich mich über die Aufnahme in die Hei-
delberger Akademie und über die Perspektiven, die Sie mir damit eröffnen: Literatur
ist keineswegs selbstgenügsam, vielmehr ein ganz besonders wirklichkeitsgesättigtes,
welthaltiges Medium, ja, im Pulsschlag der sozialen und diskursiven Energien, die
ANTRITTSREDEN
der Musikwissenschaft oder der Ostasiatischen Philologien und der Bedrohung
mehrerer Professuren auch meines eigenen Fachgebiets betrieb, ließ mich nach
Alternativen Ausschau halten, die, von Göttingen her gesehen, freilich nicht irgend-
wo liegen konnten: Als sich 2004 die Chance bot, nach Freiburg (und dort auf
den zuvor von Gerhard Neumann und Jochen Schmidt bekleideten Lehrstuhl für
Neuere deutsche Literatur in komparatistischer Perspektive) zu wechseln, entschloß
ich mich zu diesem Schritt ... und habe ihn keinen Moment lang bereut: Ich habe
in Freiburg ein in den literatur- und kulturwissenschaftlichen Fächern überaus auf-
geschlossenes und möglichkeitsreiches Ambiente angetroffen, in dem sich produktiv
wird arbeiten lassen. Und mit meiner Aufnahme in die Heidelberger Akademie
haben Sie endgültig die eine empfindliche Lücke geschlossen, die der Weggang aus
Göttingen aufgerissen hatte.
Wenn ich mich für die Zwecke einer ersten Vorstellung in meinem heutigen
fachlichen Profil kurz charakterisieren sollte, so würde ich sagen: Ich bin ein histo-
risch-hermeneutisch trainierter, aber für andere theoretische und methodische
Ansätze offener Literaturwissenschaftler mit germanistischem Standbein und
europäisch-komparatistischem Spielbein. Meine derzeit intensivsten Interessen gel-
ten Fragen der kulturellen longue duree und der Dynamik des literarischen Prozesses
zwischen Tradierung und Transformation; historisch faszinieren mich neben solchen
„kulturellen Strategien der Dauer“ (Aleida Assmann) vor allem die klassisch-roman-
tische Großepoche der deutschen Literatur in der staunenswert produktiven Sattel-
zeit um und nach 1800 und die Ara der klassischen Moderne in der Gesamtheit ihrer
komparatistischen und intermedialen Bezüge. Drei Jahrzehnte der akademischen
Formierung haben mir mein Staunen über und meine Begeisterung für das, was
Sprache in literarisch verdichteten, kunstvoll komplex gestalteten Texten mitunter
vermag, nicht völlig austreiben können, und noch immer suche ich nach zureichen-
den Mitteln, um dieses primäre Staunen auf klare und nachvollziehbare Weise aus-
zudrücken. Dabei interessiere ich mich besonders für alle Arten von Wechselspielen,
die mein Leitmedium, die Literatur, mit anderen Sprachen, Symbolsystemen, Weisen
der Welterzeugung unterhält, seien dies nun die anderen Künste (die traditionellen
wie die neuen), seien es andere diskursive Formationen in Philosophie, im Ensem-
ble der Wissenschaften, im Gesamtzusammenhang der Kultur. Aus diesem Grund
halte ich auch die im Hinblick auf das Forschungsprogramm der Literaturwissen-
schaft gelegentlich aufgestellte Alternative zwischen „Philologisierung“ oder „Re-
Philologisierung“ einerseits und „kulturwissenschaftlicher Erweiterung“ andererseits
für falsch gestellt. Mir scheint ganz umgekehrt, daß sich die Eigenleistung, die sozia-
le Erkenntnisfunktion und nicht zuletzt auch das ästhetische proprium der Literatur,
an dem ich entschieden festhalten möchte, umso deutlicher erschließen werden,je
intensiver wir literarische Texte mit der Vielzahl ihrer möglichen Kontexte konfron-
tieren und ins Gespräch bringen.
Nicht zuletzt aus diesem Grund freue ich mich über die Aufnahme in die Hei-
delberger Akademie und über die Perspektiven, die Sie mir damit eröffnen: Literatur
ist keineswegs selbstgenügsam, vielmehr ein ganz besonders wirklichkeitsgesättigtes,
welthaltiges Medium, ja, im Pulsschlag der sozialen und diskursiven Energien, die