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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Editor]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

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I. Das Geschäftsjahr 2006
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Antrittsreden
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Frisch, Wolfgang: Antrittsrede vom 15. Juli 2006
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https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0128
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ANTRITTSREDEN

chen.Vor diesem Hintergrund untersuche ich seit geraumer Zeit mit eigenen Mit-
arbeitern, mit Doktoranden und freiwillig am Projekt beteiligten Mitarbeitern des
Freiburger Max-Planck-Instituts für internationales und ausländisches Strafrecht,
dem ich als auswärtiges wissenschaftliches Mitglied angehöre, das Strafrecht von acht
europäischen Staaten. Das Ziel ist dabei herausfinden, inwieweit das Strafrecht der
untersuchten Staaten in zentralen Fragen übereinstimmt, worin es sich unterschei-
det und was der Hintergrund der Unterschiede ist. In der Sache ist das ein sehr weit-
gespanntes Gesamtprojekt, auch wenn man sich auf zentrale Fragen konzentriert und
von manchen Details absieht. Ich habe daher eine nochmalige Beschränkung vorge-
nommen und mich zunächst auf die allgemeinen Lehren zur Straftat, die Folgen der
Straftat und das verfahrensrechtliche Grundmodell samt einiger wichtiger verfah-
rensrechtlicher Prinzipien konzentriert.
Im Verlaufe dieser vergleichenden Untersuchungen des heutigen Strafrechts
europäischer Staaten hat sich mehr und mehr ein zweites Forschungsfeld herausge-
schält. Um erkennen zu können, wie trennend gewisse Unterschiede sind, muss man
ihren Hintergrund und ihre Wurzeln kennen — genau so wie man bei Gemeinsam-
keiten wissen muss, ob sie mehr zufälliger Art sind oder ein gemeinsames belastbares
Fundament haben. Sachlich geht es also darum, die Erkenntnisse zum Gegenwarts-
zustand des Strafrechts durch eine Untersuchung der geistesgeschichtlichen und kul-
turellen Grundlagen und Entwicklungen des Strafrechts zu erweitern. Anders als im
Privatrecht, wo es zu diesem Fragenbereich Beeindruckendes gibt, fehlt es im Straf-
recht an Arbeiten mit einer insoweit genieineuropäischen Perspektive. Auch ich stehe
hier noch am Anfang. Gegenwärtig untersuche ich aus dem Gesamtspektrum denk-
barer Einflüsse die Wirkkraft philosophischer Systeme, insbesondere der neuzeit-
lichen Naturrechtslehren, der Vernunftrechts- und der Aufklärungsphilosophie.
Schon die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigen, dass die Strafrechtsordnungen
Europas in erheblichem Maße durch diese philosophische Diskussion geprägt sind,
übrigens auch das Strafrecht des Common Law. Freilich ist das nur ein, wenn auch
wichtiger, Aspekt in einem Gesamtprojekt, das letztlich nur interdisziplinär bewältigt
werden kann. Aber vielleicht könnte die Heidelberger Akademie ja ein Platz sein, an
dem sich ein derartiges interdisziplinäres Projekt mit Ertrag verwirklichen lässt.
 
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