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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2006 — 2006

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III. Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses: Das WIN-Kolleg
DOI Kapitel:
2. Forschungsschwerpunkt "Kulturelle Grundlagen der Europäischen Einigung"
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https://doi.org/10.11588/diglit.66961#0258
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270 | FÖRDERUNG DES WISSENSCHAFTLICHEN NACHWUCHSES

Das soziale Europa hat damit einen anderen Gehalt. Solidarität kann sich auf
die Solidarität der Völker beziehen. Dies kann verschiedene Dimensionen haben. Es
kann sich zum einen auf eine bestimmte Hilfe der „reichen“ gegenüber den
„armen“ Mitgliedstaaten beziehen, es kann aber auch den Inhalt haben, dass die
Gemeinschaft den mitgliedstaatlichen Sozialstaat nicht in Frage stellen darf. Welches
Verständnis nun das richtige ist, ist an Hand des EU-Verfassungsvertrages herauszu-
arbeiten. Dabei wird es darum gehen, ob der EU-Verfassungsvertrag nur die hündi-
sche Solidarität der Mitgliedstaaten einfordert oder auch einem sozialstaatlichen
Gedanken verpflichtet ist.
Diese Untersuchung steht in engem Zusammenhang mit der von Katrin
Ullrich federführend betreuten Untersuchung zu der Frage, ob der liberalisierte
Binnenmarkt eine Grenze für den nationalen Sozialstaat bildet. Ausgangspunkt ist
hierbei die Überlegung, dass der Wohlfahrtsstaat und die damit verbundene Umver-
teilung bisher für den klar abgegrenzten Nationalstaat konzipiert waren. Auch im
Nationalstaat bewirkt Umverteilung eine Verzerrung ökonomischer Leistungsanreize
und induziert Tendenzen zur Vermeidung von Abgaben und Steuern. Mit einer
zunehmenden Integration in Europa wird jedoch die Vermeidung dieser Umvertei-
lungslasten durch die zunehmende Mobilität der Produktionsfaktoren einfacher und
ruft entsprechende Wanderungsbewegungen von Arbeitskräften, Finanz- und Real-
kapital hervor. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass eine stärkere Umverteilung
mehr Mittel benötigt, was mit einer stärkeren Besteuerung/Abgabenlast einhergehen
wird. Gleichzeitig ermöglichen höhere staatliche Einnahmen die vermehrte Bereit-
stellung öffentlicher Güter, was umgekehrte Wanderungsströme induzieren würde.
Die Nettobewegungen der Produktionsfaktoren sind demnach theoretisch nicht
eindeutig zu belegen und bedürfen daher einer empirischen Untersuchung. Um die
Veränderungen, die sich durch die Integration in Europa ergeben, näher bestimmen
zu können, soll zuerst das Ausmaß der Umverteilung in ausgewählten repräsentati-
ven Staaten der EU bestimmt werden. Erst ein signifikantes Niveau von Univertei-
lungsaktivität kann einen Einfluss auf Kapitalbewegungen entfalten. Zur Erfassung
der Umverteilungsintensität sind verschiedene Maße vorstellbar, die die Stärke der
Umverteilung, z.B. zur Sicherung des Existenzminimums oder Umverteilung durch
verschiedene Systeme der sozialen Sicherung, messen.
In einem zweiten Schritt soll das Ausmaß der Wanderung von Produktions-
faktoren bestimmt werden. Dazu ist eine deskriptive Untersuchung im Zeitablauf
notwendig, ob und wie sich Ströme von Arbeit und Kapital in Europa verändert
haben. Ergänzt werden können die statistischen Maße durch eine Untersuchung
institutioneller Änderungen, beispielsweise den Abbau von Kapitalverkehrsbeschrän-
kungen.
Wenn die Lastenvermeidung überwiegt, können die Wanderungsbewegungen
Grenzen für die innerstaatliche Solidarität setzen. In diesem Fall würden die zuneh-
mende europäische Integration und vor allem der einheitliche Binnenmarkt natio-
nalstaatliche Sozialpolitik erodieren und Grenzen für das Ausmaß der Umverteilung
schaffen. Sollte die Integration die bisherige Form nationaler Wohlfahrtspolitik
tatsächlich beeinträchtigen, ist mit Anpassungsreaktionen der nationalen Politik zu
 
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