Jürgen M. Bauer
Jürgen M. Bauer
„Verlängerung der Lebens- und Gesundheitsspanne -
Die medizinische Perspektive"
Gesamtsitzung am 14. Oktober 2023
Seit Beginn der Zivilisationsgeschichte sehnt sich der Mensch nach Unsterblich-
keit. Dieser Menschheitstraum findet sich daher nicht nur in Mythen der Vorzeit,
sondern er inspirierte bis in die Gegenwart eine Vielzahl von Kunstwerken.
Wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der Molekularbiologie haben im
letzten Jahrzehnt die Verwirklichung dieser Sehnsucht deutlich wahrscheinlicher
werden lassen, sodass sich nun zur wissenschaftlichen Ambition neuerdings das
Gewinnstreben von Investoren gesellt. Tech-Milliardäre aus dem Silicon Valley
und reiche Staaten aus der Golfregion investieren gegenwärtig Milliardenbeträ-
ge in Start Ups sowie in Giganten wie Alphabet, welche auf biotechnologischer
Grundlage moderne Anti-Aging Therapien entwickeln. Die nächstenjahre werden
zeigen, ob der diesbezügliche Fortschritt weiterhin durch universitäre Forschung
getrieben wird oder ob diese den privatwirtschaftlichen Initiativen unterliegt.
Grundsätzlich ist anzumerken, dass die weltweite Alterung der Gesellschaf-
ten diese vor immense Herausforderungen stellt. Multimorbidität findet sich ins-
besondere im höheren Lebensalter, wobei sie sich in einem hohen Prozentsatz
mit einem progressiven Verlust an Funktionalität verbindet. Am Ende dieser Ent-
wicklung stehen Autonomieverlust und Pflegebedürftigkeit. Bereits heute ist in
Deutschland ein relevanter Mangel an Pflegepersonal zu verzeichnen, der allen
Prognosen zufolge in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen wird. Aus ge-
sellschaftlicher Perspektive erscheint es daher legitim, therapeutische Ansätze zu
verfolgen, welche Gesundheit und Funktionalität im Alter erhalten.
Die moderne biomedizinische Forschung setzt in diesem Zusammenhang auf
ein neues Therapieprinzip, bei dem es sich um einen primär präventiven Behand-
lungsansatz handelt. Dieser basiert auf der Annahme, dass zahlreichen altersasso-
ziierten Erkrankungen gemeinsame molekulare Ursachen zugrunde liegen. Dies
bedeutet, dass die spezifische medikamentöse Behandlung einzelner Erkrankun-
gen durch molekulare Intei~ventionen abgelöst wird, die das Auftreten mehrerer
Alterserkrankungen simultan verhindern. Beispielhaft für letztere seien degenera-
tive kardiovaskuläre Erkrankungen, der kognitive Abbau bis hin zur Demenz, der
Verlust an Muskelmasse und Muskelfunktion (Sarkopenie) sowie die Osteoporose
genannt. Diesbezügliche molekulare Ansatzpunkte stellen unter anderem die im
Alter zu beobachtende mitochondriale Dysfunktion, der Verlust der Proteostase,
die altersassoziierte Stammzellerschöpfung sowie die zelluläre Seneszenz dar. Ei-
ne ideale Inteivention würde die gleichzeitige Beeinflussung mehrerer der vorer-
wähnten Prozesse ermöglichen. Bei den in Entwicklung befindlichen Substanzen
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Jürgen M. Bauer
„Verlängerung der Lebens- und Gesundheitsspanne -
Die medizinische Perspektive"
Gesamtsitzung am 14. Oktober 2023
Seit Beginn der Zivilisationsgeschichte sehnt sich der Mensch nach Unsterblich-
keit. Dieser Menschheitstraum findet sich daher nicht nur in Mythen der Vorzeit,
sondern er inspirierte bis in die Gegenwart eine Vielzahl von Kunstwerken.
Wesentliche Fortschritte auf dem Gebiet der Molekularbiologie haben im
letzten Jahrzehnt die Verwirklichung dieser Sehnsucht deutlich wahrscheinlicher
werden lassen, sodass sich nun zur wissenschaftlichen Ambition neuerdings das
Gewinnstreben von Investoren gesellt. Tech-Milliardäre aus dem Silicon Valley
und reiche Staaten aus der Golfregion investieren gegenwärtig Milliardenbeträ-
ge in Start Ups sowie in Giganten wie Alphabet, welche auf biotechnologischer
Grundlage moderne Anti-Aging Therapien entwickeln. Die nächstenjahre werden
zeigen, ob der diesbezügliche Fortschritt weiterhin durch universitäre Forschung
getrieben wird oder ob diese den privatwirtschaftlichen Initiativen unterliegt.
Grundsätzlich ist anzumerken, dass die weltweite Alterung der Gesellschaf-
ten diese vor immense Herausforderungen stellt. Multimorbidität findet sich ins-
besondere im höheren Lebensalter, wobei sie sich in einem hohen Prozentsatz
mit einem progressiven Verlust an Funktionalität verbindet. Am Ende dieser Ent-
wicklung stehen Autonomieverlust und Pflegebedürftigkeit. Bereits heute ist in
Deutschland ein relevanter Mangel an Pflegepersonal zu verzeichnen, der allen
Prognosen zufolge in den nächsten Jahrzehnten weiter zunehmen wird. Aus ge-
sellschaftlicher Perspektive erscheint es daher legitim, therapeutische Ansätze zu
verfolgen, welche Gesundheit und Funktionalität im Alter erhalten.
Die moderne biomedizinische Forschung setzt in diesem Zusammenhang auf
ein neues Therapieprinzip, bei dem es sich um einen primär präventiven Behand-
lungsansatz handelt. Dieser basiert auf der Annahme, dass zahlreichen altersasso-
ziierten Erkrankungen gemeinsame molekulare Ursachen zugrunde liegen. Dies
bedeutet, dass die spezifische medikamentöse Behandlung einzelner Erkrankun-
gen durch molekulare Intei~ventionen abgelöst wird, die das Auftreten mehrerer
Alterserkrankungen simultan verhindern. Beispielhaft für letztere seien degenera-
tive kardiovaskuläre Erkrankungen, der kognitive Abbau bis hin zur Demenz, der
Verlust an Muskelmasse und Muskelfunktion (Sarkopenie) sowie die Osteoporose
genannt. Diesbezügliche molekulare Ansatzpunkte stellen unter anderem die im
Alter zu beobachtende mitochondriale Dysfunktion, der Verlust der Proteostase,
die altersassoziierte Stammzellerschöpfung sowie die zelluläre Seneszenz dar. Ei-
ne ideale Inteivention würde die gleichzeitige Beeinflussung mehrerer der vorer-
wähnten Prozesse ermöglichen. Bei den in Entwicklung befindlichen Substanzen
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