II. Wissenschaftliche Vorträge
in diesem Jahr im Band 4 unserer Shandong-Serie publiziert. Dieser dritte Typus
hat keine Vorbilder außerhalb Chinas. Das Corpus von fast zwei Dutzend Inschrif-
ten auf den Bergen von Shandong ist einmalig in der Welt. Sie legen sich wie ein
Netz über das Land und machen es zu einem Reich des Buddha.
Etwa gleichzeitig beginnt auch der vierte Typ: Wände in Kultgrotten in Berg-
abhängen, so wie in Xiangtangshan in der Provinz Hebei, um 572 n.Chr. Hier sind
die Texte in ein ikonographisches Programm von Skulpturen integriert. Sie umfas-
sen bereits einige zehntausend Zeichen. Die größte Anlage mit mehreren Dutzend
Kultgrotten wurde im 8. Jh. in Sichuan im Tal des Liegenden Buddha begonnen.
Es sind würfelförmige nach vorne offene Kuben. Aufjeder der drei Seiten sind ca.
zehntausend Zeichen eingemeißelt, jedes etwa zwei mal zwei Zentimeter groß.
Der letzte der fünf Typen sind simple Steinplatten. Sie wurden zum ersten
Mal 616 n.Chr. in den Bergen südlich von Peking im Wolkenheimkloster in die
Wände der sog. Donnerklanghöhle eingelassen. Später wurden die Platten auf
beiden Seiten bemeißelt und am laufenden Band hergestellt. Ein Beispiel ist auf
Abbildung 2 zu sehen, ein nüchterner Stein, ohne jegliche Schmuckelemente.
Nun ist es nicht so, dass ein Typus zum Ende kam, wenn ein neuer Typus
auftauchte. Insbesondere auf Stelen und in Grotten wurde noch lange weiter ge-
meißelt. Auch findet man bisweilen neben diesen fünf Haupttypen noch weitere
Schriftträger. Jedoch ist es bemerkenswert, dass zwischen den Miniaturstupas und
den ersten Platten im Wolkenheimkloster nicht einmal zwei Jahrhunderte liegen.
In diesem Entwicklungsprozess können wir folgende Haupttendenzen ausma-
chen:
- Buddhistische Elemente treten nach und nach in den Hintergrund. Während
die Stupas noch quintessentiell buddhistische Monumente waren, sind die
Steinplatten rein utilitaristische Objekte. Man erkennt ihren buddhistischen
Charakter erst, wenn man den Text liest.
- Zugleich löst sich die Schrift Schritt für Schritt aus einem ikonischen Zusam-
menhang und wird immer autonomer.
- Die Zahl der Zeichen nimmt dabei ständig weiter zu, gegen Ende exponenti-
ell.
Die Entwicklung dieser fünf Schriftträger ist also ein instruktives und, wie
mir scheint, paradigmatisches Beispiel, wie der Buddhismus die chinesische Kul-
tur bereicherte aber gleichzeitig von ihr absorbiert wurde.
Im dritten Teil meines Vortrags gehe ich noch näher auf das Wolkenheimklos-
ter ein. Die Mönche, die 616 mit dem Meißeln der Sutratafeln begannen, glaubten,
sie seien eine letzte Generation. Nach ihrer Berechnung hatte der Weltuntergang
bereits 553 begonnen. Eine Klimakatastrophe, insbesondere Feuersbrünste und
Fluten, würden ihr Leben auf der Erde bald unmöglich machen. Dabei würden
sie das Kostbarste verlieren, was sie hatten, ihre heiligen auf Seide und Papier ge-
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in diesem Jahr im Band 4 unserer Shandong-Serie publiziert. Dieser dritte Typus
hat keine Vorbilder außerhalb Chinas. Das Corpus von fast zwei Dutzend Inschrif-
ten auf den Bergen von Shandong ist einmalig in der Welt. Sie legen sich wie ein
Netz über das Land und machen es zu einem Reich des Buddha.
Etwa gleichzeitig beginnt auch der vierte Typ: Wände in Kultgrotten in Berg-
abhängen, so wie in Xiangtangshan in der Provinz Hebei, um 572 n.Chr. Hier sind
die Texte in ein ikonographisches Programm von Skulpturen integriert. Sie umfas-
sen bereits einige zehntausend Zeichen. Die größte Anlage mit mehreren Dutzend
Kultgrotten wurde im 8. Jh. in Sichuan im Tal des Liegenden Buddha begonnen.
Es sind würfelförmige nach vorne offene Kuben. Aufjeder der drei Seiten sind ca.
zehntausend Zeichen eingemeißelt, jedes etwa zwei mal zwei Zentimeter groß.
Der letzte der fünf Typen sind simple Steinplatten. Sie wurden zum ersten
Mal 616 n.Chr. in den Bergen südlich von Peking im Wolkenheimkloster in die
Wände der sog. Donnerklanghöhle eingelassen. Später wurden die Platten auf
beiden Seiten bemeißelt und am laufenden Band hergestellt. Ein Beispiel ist auf
Abbildung 2 zu sehen, ein nüchterner Stein, ohne jegliche Schmuckelemente.
Nun ist es nicht so, dass ein Typus zum Ende kam, wenn ein neuer Typus
auftauchte. Insbesondere auf Stelen und in Grotten wurde noch lange weiter ge-
meißelt. Auch findet man bisweilen neben diesen fünf Haupttypen noch weitere
Schriftträger. Jedoch ist es bemerkenswert, dass zwischen den Miniaturstupas und
den ersten Platten im Wolkenheimkloster nicht einmal zwei Jahrhunderte liegen.
In diesem Entwicklungsprozess können wir folgende Haupttendenzen ausma-
chen:
- Buddhistische Elemente treten nach und nach in den Hintergrund. Während
die Stupas noch quintessentiell buddhistische Monumente waren, sind die
Steinplatten rein utilitaristische Objekte. Man erkennt ihren buddhistischen
Charakter erst, wenn man den Text liest.
- Zugleich löst sich die Schrift Schritt für Schritt aus einem ikonischen Zusam-
menhang und wird immer autonomer.
- Die Zahl der Zeichen nimmt dabei ständig weiter zu, gegen Ende exponenti-
ell.
Die Entwicklung dieser fünf Schriftträger ist also ein instruktives und, wie
mir scheint, paradigmatisches Beispiel, wie der Buddhismus die chinesische Kul-
tur bereicherte aber gleichzeitig von ihr absorbiert wurde.
Im dritten Teil meines Vortrags gehe ich noch näher auf das Wolkenheimklos-
ter ein. Die Mönche, die 616 mit dem Meißeln der Sutratafeln begannen, glaubten,
sie seien eine letzte Generation. Nach ihrer Berechnung hatte der Weltuntergang
bereits 553 begonnen. Eine Klimakatastrophe, insbesondere Feuersbrünste und
Fluten, würden ihr Leben auf der Erde bald unmöglich machen. Dabei würden
sie das Kostbarste verlieren, was sie hatten, ihre heiligen auf Seide und Papier ge-
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