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Heidelberger Akademie der Wissenschaften [Hrsg.]
Jahrbuch ... / Heidelberger Akademie der Wissenschaften: Jahrbuch 2023 — 2023(2024)

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Alles andere als old-fashioned: Innovationen aus der Altsteinzeit

aus pflanzlichen Materialien und unbearbeiteten Steinen sind nicht erhalten bzw.
identifizierbar.
Aus der Zeit vor ca. 3,3 Millionen Jahren besitzen wir erstmals Hinweise auf
eine Art von Werkzeuggebrauch, wie er bislang von Tieren nicht dokumentiert ist:
mithilfe eines Werkzeugs (Hammerstein) wurde ein zweites Werkzeug (Steinsplit-
ter mit scharfer Kante) hergestellt, um damit etwas zu bearbeiten. Durch die Nut-
zung von Geräten zur Fertigung von anderen Geräten konnten neue Arten von
Eigenschaften für Hilfsmittel geschaffen werden, die neue Ressourcen erschlos-
sen. Mit steinernen Abschlägen konnten unsere Vorfahren schneiden und damit
zum Beispiel Teile eines größeren Tierkadavers abtrennen und außer Reichwei-
te konkurrierender fleischfressender Tiere bringen. Mit solchen Schneidgeräten
wurde es auch möglich, andere Materialien wie Holz oder Haut zu bearbeiten,
und sich daraus weitere Geräte zu schaffen.
Hinter dieser Art des Ineinanderschachtelns verschiedenen Werkzeugge-
brauchs steht ein Wandel des Denkens.3 Das Prinzip der Modularität erlaubt es,
eine Handlung vom Problem über seine Bearbeitung mit Hilfsmitteln bis zur Lö-
sung nicht nur als Ganzes zu betrachten, sondern sie in kleinere Abschnitte mit
Zwischenzielen aufzuteilen. Diese können dann wieder mit anderen Modulen
verkettet werden. Solche Verkettungen können bei neuen Problemstellungen im-
mer wieder in anderer Zusammensetzung geschehen und neue Lösungen erleich-
tern. Der Prozess einer Problemlösung muss nicht mehr zwangsläufig als feste,
lineare Abfolge, sondern kann als Set von verschiedenen hierarchischen Möglich-
keiten aufgefasst werden. Wenn man große Handlungsketten in kleine Häppchen
unterteilen kann, wie wir das heute z. B. in der Fließbandorganisation praktizieren,
bringt das viele Vorteile. Einerseits verringert sich die Komplexität, da unabhängige
Häppchen leichter erlernt werden und zu Neuerungen kombiniert werden kön-
nen. Andererseits kann durch die Verkettung kleiner Einheiten die Gesamtkom-
plexität der Handlungen gesteigert werden. Zudem kann eine Handlung unter
mehreren Individuen aufgeteilt und Personen mit unterschiedlichen Fähigkeiten
beteiligt werden. Für Werkzeuge bedeutet dies, dass sie nicht an die Lösung eines
akuten Problems gebunden sind, sondern vorsorglich angeschafft und in verschie-
denen Zusammenhängen gebraucht werden können. Dies ist die Grundlage unse-
rer heutigen Werkzeugkästen.
Mehr als 200.000 Jahre zurück reicht eine steinzeitliche Innovation, die
unsere materielle Umwelt bis heute sehr stark beeinflusst. Durch Kombination
mehrerer Dinge mit unterschiedlichen Eigenschaften zu einem Objekt mit neuen

3 Haidle, Miriam Noel, Michael Bolus, Mark Collard, Nicholas J. Conard, Duilio Garofoli,
Marlize Lombard, April Nowell, Claudio Tennie & Andrew Whiten 2015. The nature of cul-
ture: an eight-grade model for the evolution and expansion of cultural capacities in hominins
and other animals. Journal of Anthropological Sciences 93, 43-70.

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