Nachruf auf Dietrich Geyer
Dietrich Geyer
(14.12.1928 - 19.10.2023)
Für seine Generation begann mit dem II. Weltkrieg der sogenannte „Ernst des
Lebens". So Dietrich Geyer in seinem autobiographischen Rückblick Reußenkrone,
Hakenkreuz und Roter Stern (1999). Schüler in der „Napola" von Naumburg, mit
15 Jahren Flakhelfer, Anfang 1945 Reichsarbeitsdienst in Ostpreußen, dort über-
lebte er die russische Offensive und die Massenflucht, danach zum „Volkssturm"
eingezogen, 1947 Beginn des Studiums in Rostock, 1949 Flucht nach West-Berlin
und Studium in Göttingen. Was von diesen „aufwühlenden Erfahrungen auf Dau-
er blieb, war ein elementares Gefühl der Bedrohung, das auch nach meiner Flucht
in den Westen nicht weichen wollte". In dieser Erfahrung gründet Dietrich Gey-
ers bedeutendes historiographisches Werk. „Mir lag daran, historisch forschend
zu begreifen, wie es geschehen konnte, daß die östliche Hälfte Europas unter to-
talitäre Herrschaft geriet und daß es der stalinistischen Sowjetunion bedurfte, um
Deutschland und seine Nachbarn von der Geißel des Naziregimes zu befreien".
Ihn bedrückte, „daß die völkisch-rassistischen Kriterien, nach denen die deutsche
Vernichtungspolitik verfuhr, in der ethnischen Parzellierung des ,kollektiven Ge-
dächtnisses' noch immer weiterwirken". Mit seinem „Bericht", wie er seine Au-
tobiographie bescheiden nannte, hoffte Dietrich Geyer dazu beizutragen, „die
nationalen Leidenserfahrungen über Grenzen hinweg zusammenzuführen und
Formen des Gedenkens zu stiften, die die Völker nicht trennen, sondern zusam-
menführen können".
Von diesem Bemühen zeugen nicht allein seine geschichtswissenschaftlichen
Publikationen, sondern auch die fachlichen Kontakte, die er in die Tschechoslo-
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Dietrich Geyer
(14.12.1928 - 19.10.2023)
Für seine Generation begann mit dem II. Weltkrieg der sogenannte „Ernst des
Lebens". So Dietrich Geyer in seinem autobiographischen Rückblick Reußenkrone,
Hakenkreuz und Roter Stern (1999). Schüler in der „Napola" von Naumburg, mit
15 Jahren Flakhelfer, Anfang 1945 Reichsarbeitsdienst in Ostpreußen, dort über-
lebte er die russische Offensive und die Massenflucht, danach zum „Volkssturm"
eingezogen, 1947 Beginn des Studiums in Rostock, 1949 Flucht nach West-Berlin
und Studium in Göttingen. Was von diesen „aufwühlenden Erfahrungen auf Dau-
er blieb, war ein elementares Gefühl der Bedrohung, das auch nach meiner Flucht
in den Westen nicht weichen wollte". In dieser Erfahrung gründet Dietrich Gey-
ers bedeutendes historiographisches Werk. „Mir lag daran, historisch forschend
zu begreifen, wie es geschehen konnte, daß die östliche Hälfte Europas unter to-
talitäre Herrschaft geriet und daß es der stalinistischen Sowjetunion bedurfte, um
Deutschland und seine Nachbarn von der Geißel des Naziregimes zu befreien".
Ihn bedrückte, „daß die völkisch-rassistischen Kriterien, nach denen die deutsche
Vernichtungspolitik verfuhr, in der ethnischen Parzellierung des ,kollektiven Ge-
dächtnisses' noch immer weiterwirken". Mit seinem „Bericht", wie er seine Au-
tobiographie bescheiden nannte, hoffte Dietrich Geyer dazu beizutragen, „die
nationalen Leidenserfahrungen über Grenzen hinweg zusammenzuführen und
Formen des Gedenkens zu stiften, die die Völker nicht trennen, sondern zusam-
menführen können".
Von diesem Bemühen zeugen nicht allein seine geschichtswissenschaftlichen
Publikationen, sondern auch die fachlichen Kontakte, die er in die Tschechoslo-
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